Geliebter Schuft
berührt hatte. Im Moment war es leichter, sich die Schuld zu geben, weil sie ihren Instinkten nicht vertraut hatte, und Max wegen seines Verrates zu zürnen. Der Schmerz würde später kommen. Sie ging zu Bett und schlief zu ihrer Verwunderung tief und fest bis in den hellen Tag hinein.
Sie wurde von Chastity geweckt, die leise mit dem Teetablett hereinkam. Sie stellte das Tablett auf die Kommode und zog die Vorhänge an den hohen Fenstern zurück. Graues Licht fiel in den Raum. »Ach Gott«, sagte Constance, »kein schöner Tag für eine Hochzeit.«
»Nein, aber wenigstens regnet es nicht.« Chastity goss Tee in die Tasse und brachte sie ans Bett. »Du hast lange geschlafen.«
»Ich habe lange gearbeitet.« Constance setzte sich auf und nahm die Tasse mit dankbarem Lächeln entgegen. »Genau das, was ich brauche, Chas.«
Chastity setzte sich mit ihrer eigenen Tasse auf die Bettkante. »Prue hat den Artikel zum Drucker gebracht, anschließend wollte sie zur Floristin, um die Blumen auszusuchen - für Henrys Knopfloch eine rote Rose, für uns alle weiße Rosen. Für Amelia schwebte uns ein kleines Sträußchen aus rosa Rosen und vielleicht Maiglöckchen vor. Es sollte frisch und hübsch aussehen. Prue hat einen Blick für Blumen.«
»Weiß man, was Amelia tragen wird?«
»Es muss etwas in Schwarz sein.«
»Schwarz?« Constance zog die Augenbrauen hoch. »Warum das?«
Chastity lächelte verschmitzt. »Amelia schrieb, dass sie heute eine zusätzliche Stunde frei bekam ... nett von Letitia, findest du nicht?«
»Bezaubernd. Und was bewog sie zu dieser Großzügigkeit? Eine sterbende Mutter?«
»Beinahe«, sage Chastity. »Die Beerdigung einer heiß geliebten Tante.«
»Ach, deswegen das Schwarz.« Constance lachte, aber ohne echte Fröhlichkeit. »Dazu passt wenigstens jede Blumenfarbe.« Sie hielt die Tasse zum Nachgießen hin. »Die Trauung ist um vier?«
»Halb fünf, damit Amelia Zeit hat, hinzukommen, da sie nicht vor vier aus dem Haus gehen kann. Prue und ich werden mit Henry mitgehen. Wir dachten, du solltest Amelia begleiten, da ihr Schwestern im Geiste des Frauenstimmrechts seid.« Chastitys Lächeln war ein wenig spöttisch. »Du bist die passendste Brautjungfer. Wir hingegen sind der Anhang des Bräutigams.«
Constance runzelte die Stirn. »Ich habe ein schlechtes Gewissen, weil ihr die Schwerarbeit mit Henry habt.«
»Ach, kein Problem.« Chastity stand auf. »Prue und ich haben Henry gut im Griff. Du wirst Amelia vor dem Haus der Grahams erwarten und sie zur Caxton Hall begleiten. Danach gibt es im Claridge einen festlichen Tee. Wir bestellten einen extra Raum, damit wir nicht Gefahr laufen, jemandem zu begegnen. Es wäre doch ziemlich peinlich, Letitia oder Max zu treffen, meinst du nicht?«
»Ja, sehr«, gab Constance ihr Recht.
Chastity fuhr fort: »Danach bleiben ein paar Stunden, um ...«
»... die Ehe zu konsumieren«, beendete Constance den Satz. »Wo soll das sein?«
»Henry fand eine kleine Hotelpension an der Bayswater Road. Ganz billig, aber sauber und anständig. Er will dorthin ziehen, bis er eine Wohnung findet. Offenbar hat Max ihm den Anfang mit einem Vorschuss erleichtert.«
Bei der Erwähnung des Namens wurde Constances Miene ernst. »Na, wenigstens kann er großzügig sein«, musste sie zugeben.
Chastity sagte nur: »So, und jetzt gehe ich, damit du aufstehen kannst.«
Constance schlug die Decke zurück. »In einer halben
Stunde bin ich fertig.« Chastity nickte und ging mit dem Tablett hinaus.
Constance unterzog den Inhalt ihres Kleiderschrankes einer gründlichen Musterung. Sie brauchte etwas Passendes fürs Standesamt und die anschließende kleine Feier und wählte ein hellgraues Shantungkostüm mit tiefgrüner Seidenbluse. Sie flocht ihr Haar und schlang es zu einem Nackenknoten. Als sie hinunterging, hörte sie auf halber Höhe der Treppe aus der offenen Salontür Max' Stimme.
Abrupt blieb sie stehen, die Hand am Treppenlauf, einen Fuß zum nächsten Schritt in der Luft. Prue sagte eben in vertraulichem Ton: »Ach, es tut mir ja so Leid, Max, aber Con fühlte sich heute nicht sehr wohl. Leibschmerzen.«
»Ja, und Kopfschmerzen«, fiel Chastity ein. »Die arme Con hat immer mehr als wir zu leiden.«
»Ich verstehe.« Sein Hüsteln entlockte Constance ein befriedigtes Schmunzeln. Sie konnte sich denken, wie peinlich ihm diese vertraulichen Andeutungen waren.
»Schon gestern ging es ihr nicht gut«, fuhr er fort und hüstelte abermals. »Ich dachte, es wäre
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