Geliebter Schuft
kühlere Luft auf der Terrasse umfächelte ihre Wangen und klärte ihren Kopf ein wenig, und als Max hinter sie trat, war sie imstande, sich umzudrehen und ihn mit einem Lächeln zu empfangen.
»Ich wusste gar nicht, dass du hier draußen bist«, sagte er, beugte sich neben ihr über die Brüstung und stützte die Arme auf. Es war Flut, und zahlreiche beladene Frachter steuerten die Docks an, so dass trotz der späten Stunde auf dem Wasser reger Verkehr herrschte.
»Ich fand die Gespräche der Damen ziemlich ärgerlich«, sagte sie tonlos.
»Ach.« Er schüttelte den Kopf. »Das hatte ich befürchtet.«
»Warum hast du mich dann eingeladen? Hast du nicht befürchten müssen, dass ich dich in Verlegenheit bringe?«
»Nein.« Er schien erstaunt. »Weit davon entfernt. Warum glaubst du das?«
Sie zuckte mit den Schultern. »Ich weiß nicht. Max, ich bin müde. Hinter mir liegt ein anstrengender Tag.«
»Ich bringe dich nach Hause.« Er sah sie forschend an. Constance war wirklich müde. Sie, die immer über unerschöpfliche Energie zu verfügen schien, machte heute einen etwas geknickten Eindruck. Nun, vielleicht hing es mit ihrem weiblichen Zyklus zusammen. Oft hatte er erlebt, dass völlig vernünftige und gelassene Frauen zu bestimmten Zeiten gefühlsbetont und irrational reagierten.
Constance fragte sich, wie er dastehen, mit ihr sprechen und so tun konnte, als wenn nichts wäre, obwohl er von einem Gespräch kam, in dem er ganz nüchtern geäußert hatte, dass er sie hintergehen würde - so als sei es die einzige, ja, eine selbstverständliche Vorgehensweise. Eigentlich unglaublich, und doch hatte sie es gehört. Ihr erster Eindruck von Max Ensor hatte sie nicht getrogen, doch sie war ihren Gefühle, ihren zügellosen Impulsen gefolgt. Typisch weiblich, dachte sie angewidert.*
Sie hielt seine Gesellschaft keine Sekunde länger aus und sagte abrupt: »Entschuldige mich. Ich fühle mich nicht wohl. Ich werde eine Droschke nach Hause nehmen.«
»Nein, ich bringe dich nach Hause. Hast du einen Mantel?«
»Nein.« Sie zog den Schal enger um sich. Es gab keine höfliche Möglichkeit, seine Begleitung abzulehnen, und für eine Konfrontation war sie noch nicht bereit.
Max unternahm nicht den Versuch, ein Gespräch anzufangen. Er legte in der Droschke den Arm um sie, doch als sie mit einem Ruck auswich, ließ er seinen Arm sofort sinken. Da er sich nicht denken konnte, was zwischen ihnen nicht stimmen sollte, musste alles stimmen. Sie war müde. Oder es war die falsche Zeit im Monat. Mehr konnte es nicht sein.
Er brachte sie an die Tür und beugte sich zu einem Kuss über sie. Sie wandte ihr Gesicht ab, so dass seine Lippen weder mit der Wange noch mit den Lippen in Berührung kamen. »Sicher hast du Kopfschmerzen«, sagte er mitfühlend. »Ich habe Verständnis für diese Dinge.«
Constance starrte ihn an. Verständnis? Verständnis wofür? Wie konnte er denn Verständnis haben? Doch als sie ihn anschaute, das liebevoll besorgte, aber dennoch leicht gönnerhafte Lächeln in seinen Augen sah, da dämmerte es ihr. Was für eine typisch männliche Schlussfolgerung. Für ihn gab es nur eine Erklärung für ihre plötzliche Zurückhaltung.
Max zögerte und fragte sich, ob er in der plötzlichen Stille noch etwas sagen sollte, doch da hatte sie ihm auch schon gute Nacht gewünscht und war im Haus verschwunden, nachdem sie selbst die Tür aufgeschlossen hatte.
Max blieb auf dem Bürgersteig stehen und furchte die Stirn. Dann schüttelte er den Kopf und ging los, ohne zu ahnen, dass Constance ihn vom Treppenfenster aus beobachtete.
Constance begab sich sofort in den Salon, wo ihre Schwestern sie erwarteten.
»Was, zum Teufel, ist passiert?«, fragte Prudence, kaum dass Constance eingetreten war.
»Con, du siehst aus, als hättest du ein Gespenst gesehen«, sagte Chastity besorgt. »Bist du krank?«
»Ich leide an Herzweh«, sagte Constance mit verbittertem Lächeln. »Wie dumm ich doch bin! Da bilde ich mir Gott weiß was auf meine Klugheit ein, halte mich für intelligenter als andere, vor allem als jeder Mann, und falle doch auf den urältesten Trick herein. Was war ich doch leichtgläubig!« Sie schenkte sich ein Glas Kognak ein und stellt sich vor den leeren Kamin, einen Fuß auf dem Kaminvorsatz.
»Dann schütte uns doch dein Herz aus.« Prudence war ganz Mitgefühl. »Ich nehme an, es hat mit Max zu tun?«
Sie berichtete ihren fassungslos lauschenden Schwestern, was sich zugetragen hatte. »Und wisst
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