Geliebter Schuft
begreife, worüber die Leute sich den Kopf zerbrechen. Eigentlich sollte Chas die Kolumne übernehmen. Sie ist so intuitiv.«
»Sehr gern«, sagte Chastity. »Und um die Sache in Gang zu bringen, erfinde ich ein e n Problem-Brief, von dem wir nur die Initialen des Briefschreibers veröffentlichen, damit die Leute keine Hemmungen haben, uns ihre Probleme zu schildern.« Sie kaute auf ihrer Bleistiftspitze herum. »Aber was für ein Problem soll es sein?«
»Liebe ist immer eine sichere Sache«, schlug Constance vor. »Das Schwanken zwischen zwei Lieben ... das wäre doch was?«
Sie trocknete die Tinte mit Löschpapier und las noch mal die drei Absätze, die sie verfasst hatte. »So, das müsste reichen. Was haltet ihr davon?« Sie ging mit dem Blatt zum Sofa, griff wieder zu ihrem Glas und trank in Erwartung der Reaktion ihrer Schwestern einen Schluck.
Chastity ließ ein ersticktes Lachen hören. »Con, das ist ja skandalös. « Sie las laut vor. »Heute Abend gab der Sehr Ehrenwerte Max Ensor, frisch gebackener Abgeordneter für die Grafschaft Southwold in Essex, sein gesellschaftliches Debüt bei der herrlichen musikalischen Soiree, die Lady Arabella Beekman in ihrem zauberhaften Haus am Grosvenor Square veranstaltete. Mr. Ensor, Bruder von Lady Graham, die ihre Adresse an der Albermarie Street hat, war Ziel zahlreicher Blicke. Viele Mütter waren eifrig bemüht, ihn ihren Töchtern vorzustellen. Ob Mr. Ensor als Opernfan
gilt, ist nicht bekannt, doch gelang es ihm an diesem Abend jedenfalls, eigene Anhänger zu gewinnen.«
Prudence stieß einen leisen Pfiff aus. »Eine Kriegserklärung, Con?«
Constance schmunzelte. »Schon möglich.«
»Das ist ungeheuerlich«, sagte Prudence kichernd. »Du schreibst von der Soiree selbst kein einziges Wort.«
»Ach, es geht noch weiter«, sagte Chastity. »Beschreibungen, überschwängliches Lob der Sängerin, Vorbehalte gegen die Gluck-Arie ... also hast du doch zugehört, Con ... und ein hübscher kleiner Seitenhieb auf Glynis Fanshaw und ihren neuen Begleiter.« Sie blickte auf. »Kam Glynis wirklich mit diesem alten Roue Jack Davidson? Etwas Besseres hat sie wohl nicht.«
»Das sagte ich nicht«, erklärte Constance lammfromm.
»Nein, und ich nehme an, du spielst auch nicht darauf an.« Chastity schüttelte den Kopf. »Die Leute werden sich darüber sehr amüsieren.«
»Das sollen sie auch. Wo platzieren wir den Artikel?«
»Auf der vorletzten Seite. Die bleibt für leichte Kost reserviert, da wir hoffen, dass die Leserinnen sich von Cons ernsten Artikeln ablenken lassen.«
»Es entspricht dem pädagogischen Prinzip, das Butterbrot vor dem Kuchen zu servieren«, sagte Prudence nachdenklich. »Und wie geht es mit dem Problem-Brief voran?«
»Ich halte ihn ganz einfach«, erwiderte Chastity. »Aber an wen soll er gerichtet sein?«
»An eine großmütterliche Person«, sagte Prudence. »Nach Ingwerplätzchen und gestärkter Schürze duftend.«
»Tante Mabel«, sagte Constance sofort. »Nein, lacht nicht«, wehrte sie ab. »Das ist ein schöner Name, der an
Verlässlichkeit und Weisheit und die Behaglichkeit einer Lieblingstante erinnert. Tante Mabel und ein schlechter Rat... unvorstellbar.«
»Also ... Tante Mabel«, sagte Chastity. »Ich lese euch den Brief vor. >Liebe Tante Mabel.. .<« Sie unterbrach sich, als an die Tür geklopft wurde. Lord Duncan rief: »Seid ihr noch wach, Mädchen?«
Constance fegte die Papiere vom Tisch und steckte sie hinter ein Kissen. »Ja«, rief ^ie. »Komm herein, Vater.«
Lord Duncan trat ein, den schwarzen Seidenzylinder in der Hand, die Halsbinde schief. Sein Blick war wohlwollend, aber verschwommen. »Ich sah im Vorübergehen das Licht unter der Tür«, sagte er. An die Tür gelehnt, ließ er den Blick durch den Raum wandern. »Eure Mutter liebte diesen Raum.« Er runzelte die Stirn. »Ein wenig schäbig sieht er aus. Warum kauft ihr nicht neue Vorhänge ... und ein paar neue Kissen könnten auch nicht schaden.«
»Wir belassen alles lieber so, wie es Mutter gern hatte«, sagte Constance beruhigend und vernünftig.
Er nickte und hustete in die Hand. »Ach ja ... ich verstehe. Natürlich ... hübscher Gedanke. Und wie war euer Abend?«
»Einfach herrlich. Die Sängerin war großartig«, zeigte Prudence sich begeistert. »Wir sprachen eben noch bei unserer heißen Schokolade davon, ehe wir zu Bett gehen wollten.«
»Allmächtiger! Ihr wollt euch doch nicht euer Inneres mit diesem Zeug verkleistern.« Als sein Blick auf
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