Geliebter Schuft
sagte sie todernst.
»Ach, ich verstehe.«
»Lady Graham und Naryiy Baxter unterhalten sich gern über die Liebesgeschichten, wenn Ihre Ladyschaft das Kinderzimmer aufsucht.«
»Ach«, sagte Max abermals, »ich verstehe.« Er zupfte seine Nichte an den Zöpfchen und sagte: »Ich wünsche eine gute Nacht, Miss Westcott«, um die nunmehr friedliche häusliche Szene eilig zu verlassen.
In der Halle begegnete er seinem Schwager. »Ach, Max, auf dem Weg ins Unterhaus?« Berties joviale Frage war mit einem Hauch Whiskey versetzt. »Ich komme eben aus dem Oberhaus ... von einer verdammt langweiligen Landwirtschaftsdebatte. Mich persönlich berührt sie nicht. Solange die Pächter bezahlen, soll man sie in Ruhe lassen, meinst du nicht auch?«
»Ich vertrete einen eher städtischen Wahlkreis, Bertie«, sagte Max. »Zufällig steht nichts auf der Tagesordnung, was meine Wähler betrifft. Ich führe Miss Duncan zum Dinner aus.«
»Ach?« Lord Grahams verschwommener Blick suchte einen Brennpunkt. »Die Älteste . Verdammt attraktives Mädchen. Erinnert an ihre Mutter, wird aber sitzen bleiben, wenn sie sich nicht bald für einen ihrer vielen Verehrer entscheidet. Schade um diesen Burschen, mit dem sie verlobt war, wie hieß er doch gleich ... er fiel im Krieg. Bei Mafeking oder einem anderen dieser gottverlassenen Orte in Südafrika. Bei den Dragonern, glaube ich.«
»Das war wohl vor etwa fünf oder sechs Jahren?«, sagte Max sinnend. Constance Duncan hatte ihm nicht den Eindruck einer von Tragik umwitterten Frau gemacht, die sich nach ihrem Geliebten verzehrt.
»So etwa.« Bertie schwenkte die Hand. »Die Familie war damals außer sich. Die Mutter ging mit den Mädchen eine Zeit lang nach Italien, in der Hoffnung, Constance würde darüber hinwegkommen. Inzwischen müsste dies längst der Fall sein. Ein Mädchen dieses Alters kann doch nicht ewig trauern.«
Max nahm dies wortlos zur Kenntnis, dann ging er zur Tür. »Na dann ... einen guten Abend, Bertie.«
»Ach, was ich noch fragen wollte ...« Lord Graham legte seinem Schwager die Hand auf den Arm. »Glaubst du, dass für dich bei der Regierungsumbildung ein Kabinettsposten herausschaut? Wie ich hörte, bist du mit dem Premier sehr vertraut.«
»Nein«, sagte Max auflachend. »Für diese Ehre bin ich noch zu neu im Geschäft, Bertie.«
»Schade.« Bertie seufzte. »Ein Kabinettsmitglied in der Familie könnte äußerst nützlich sein.«
Max schüttelte den Kopf und überließ seinen Schwager der Whiskeykaraffe und seinen Gedanken. Es war ein schöner Abend, und er marschierte flott durch die Straßen Mayfairs in Richtung Manchester Square. Obwohl er sie lachend abgetan hatte, war die Frage seines Schwagers nicht ganz aus heiterem Himmel gekommen. Er besaß das Vertrauen des Premierministers in hohem Maße, war aber im Unterhaus noch zu neu, um zum Kabinettsmitglied ernannt zu werden. Spielte er seine Karten geschickt aus, würde es sicher eher früher als später während der Regierungszeit der Liberalen so weit sein. Und er gedachte, seine Karten gut auszuspielen, da er das Thema gefunden hatte, das ihm das Interesse des Premierministers sichern würde. Campbell-Bannerman und sein Kabinett standen der Forderung nach Einführung des Frauenstimmrechts nicht eben wohlwollend gegenüber, konnten es sich aber nicht leisten, jene Liberalen zu verstimmen, die dafür eintraten. Brachte er einen akzeptablen Kompromiss zustande, wäre für Max Ensor der Weg ins Kabinett geebnet. Es gab viele versteckte Möglichkeiten, die Frauenbewegung in den Hintergrund zu drängen, ohne ihre einflussreicheren Befürworter zu verärgern. Und welch besseren Weg gab es für den Anfang, als seine Bekanntschaft mit einem aktiven und begeisterten Mitglied der Bewegung zu vertiefen?
Er wusste nicht, ob Constance Duncan Parteimitglied war, doch sie machte kein Geheimnis aus ihren Ansichten über weibliche Gleichberechtigung. Ebenso wenig wusste er, ob sie etwas mit The May fair Lady zu tun hatte, vermutete es aber. Entweder war sie selbst aktiv beteiligt, oder sie kannte die Herausgeberinnen. Wenn das Blatt es darauf anlegte, Unruhe zu stiften, konnte es sehr nützlich sein, genau zu wissen, wer dahinter stand. Nun, jedenfalls fand er es sehr erfreulich, Beruf und Vergnügen verknüpfen zu können, indem er die Bekanntschaft mit Miss Duncan pflegte.
Er hatte lange überlegt, ob er die Einladung für diesen Abend aussprechen sollte, weil er nicht sicher war, ob es nicht zu früh war, einen
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