Geliebter Schuft
zwinkerte ihre Schwester im hellen Sonnenschein kurzsichtig an.
Constance schnitt eine Grimasse. Die praktische Prudence hatte wie immer den Finger auf die Schwachstelle ihres Plans gelegt. »Ich gebe es ungern zu, doch er hatte nicht Unrecht«, sagte sie reuig. »Aber damit wird die Herausforderung umso größer.« Sie dachte daran, wie nachdenklich, ja, fast hungrig Max sie im Zug in Augenschein genommen hatte. Wenn es ihr gelang, dies auszunutzen, hatte sie eine Waffe in der Hand, mit der sie der Herausforderung leicht begegnen würde.
»Du wirst also versuchen, ihn zu verführen?«, fragte Chastity ein wenig beunruhigt. Ihre braunen Augen unter der Hutkrempe ließen Zweifel erkennen.
»Nicht ganz«, bestritt Constance. »Ich will mit ihm nur ein wenig spielen und seine Selbstsicherheit erschüttern. Wenn er sein übertriebenes männliches Überlegenheitsgefühl ablegt, wird er aufnahmebereiter sein.«
»Hoffentlich weißt du, was du tust«, meinte Chastity daraufhin.
»Ich bin nicht sicher, dass ich es weiß«, gestand ihre Schwester. »Aber die Idee ist bestechend. Mal sehen, wohin sie führt.«
Ein Mann, dessen Lederweste, Schürze und Breeches ihn als Stallknecht auswiesen, trat aus dem kleinen Bahnhofsgebäude. »Das Gepäck ist aufgeladen, Miss Con. Der Gentleman wartet beim Wagen.«
»Danke, George.« Die Schwestern folgten ihm durch den Bahnhof und riefen dem Stationsvorsteher einen Gruß zu, woraufhin er an die Mütze tippte. Da das Dörfchen Romsey samt Umgebung von alters her zum Besitz der Duncans gehört hatte, wurden gewisse Traditionen noch beachtet, wenn auch Pächter und Dorfbewohner vom Gutsherrn längst nicht mehr abhängig waren.
Draußen zupfte auf einem mit Gänseblümchen gesprenkelten Grasgeviert ein dunkelbraunes, einem zweisitzigen Wagen vorgespanntes Pony an den Grashalmen. Max, der neben dem Pferde stand, kraulte das Tür müßig zwischen den gespitzten Ohren. Marcel war mit den Riemen beschäftigt, die das Gepäck hinter den Sitzen festhielten.
»Wie weit ist es bis zum Haus?«, fragte Max, als die Schwestern zu ihm getreten waren.
»Eine Meile' etwa. Warum? Wer möchte laufen?«, fragte Prudence.
Max deutete auf den Zweisitzer. »Ich bezweifle, ob wir alle darin Platz finden. Ich würde gern laufen und mir nach der Zugfahrt ein wenig die Beine vertreten.«
»Ach, zwei von uns können hier bleiben, bis George kommt und uns holt«, sagte Chastity. »Das dauert nur eine halbe Stunde.«
»Eigentlich würde ich auch gern laufen«, sagte Constance beiläufig.
»Dann wäre alles klar.« Max deutete einladend auf die Straße. »Voran, McDuff.«
»Eigentlich heißt es >Vorwärts, McDuff<«, berichtigte Constance ihn. »Die meisten merken sich das nicht richtig.« Sie deklamierte theatralisch: »Vorwärts, McDuff; verdammt sei, wer als Erster ausruft ...«, sie hielt inne, und ihre Schwestern fielen in einem Chor von anschwellender Lautstärke ein: »Halt, genug!«
»Wie ich sehe, muss ich mit Zitaten vorsichtiger sein«, bemerkte Max ironisch.
»Ja, in unserer Gesellschaft schon«, sagte Prudence und stieg in den Wagen. »Wir sind die Töchter Emily Duncans, deren Shakespeare-Kenntnisse geradezu Ehrfurcht gebietend waren. Sie konnte für jede Gelegenheit ein Zitat aus dem Ärmel schütteln.«
»Geradezu Furcht einflößend«, murmelte Max.
»Ja, das war es«, pflichtete Chastity ihm bei und setzte sich neben ihre Schwester. »Aber Mutter hatte nicht nur Shakespeare parat, sie konnte aus dem Stegreif aus den Werken aller Dichter erster Ordnung und der meisten zweitrangigen zitieren. Also, wir sehen uns zu Hause.« Sie winkte fröhlich, als George seine. Peitsche ein wenig halbherzig knallen ließ und das Pony den Kopf hob, sich einen Ruck gab und den Weg entlangtrottete.
»Ihre Mutter muss eine richtige Gelehrte gewesen sein«, sagte Max, der mit Constance dem Wagen folgte.
»Sie war sehr belesen«, bestätigte Constance. »Ach, steigen wir über den Zauntritt. Wir müssen ja nicht unbedingt den Staub der anderen schlucken, außerdem ist der Weg querfeldein schöner.« Sie raffte ihren Rock hoch und watete durch kniehohe Schafgarben und Kuckucksnelken zu einem windschiefen, wacklig aussehenden Zauntritt, der in der üppig wuchernden Hecke halb verschwand.
Max betrachtete die Vorrichtung mit sichtlichem Zweifel. »Sehr solide sieht das nicht aus.«
»Ach was, der ist völlig sicher. Ich muss nur Acht geben, dass mein Rock nicht an einem vorstehenden Nagel zerreißt.« Nun
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