Geliebter Teufel
her gerissen zwischen Erschöpfung und Furcht hockte Carly unter den Zweigen einer hohen, dickstämmigen Eiche, die Hände vorn gebunden und die Füße gefesselt. Den Rest der Nacht und den ganzen Tag hatten sie die Pferde schonungslos vorwärts getrieben. Carly war mit dem stämmigen Vaquero geritten, den der Don mit Enriquez angesprochen hatte. Ihr Körper schmerzte bei jedem Schritt, den sein braunes Pferd machte.
Sie trennten sich von den anderen am Fuß des steilwandigen Canons. Fünf Männer wandten sich mit den gestohlenen Pferden Richtung Norden, während sie und die anderen auf ein Ziel zuritten, das sie nicht mal erahnen konnte. Als sie schließlich kurz nach Einbruch der Dämmerung anhielten, wurde ihr der Knebel aus dem Mund genommen, und ein junger Vaquero namens Ruiz brachte ihr etwas zu essen, aber der Teller mit dem gerosteten Kaninchen blieb unberührt, das Fleisch wurde kalt und erstarrte in der abendlichen Kälte. Ein paar Schritte entfernt streckte sich der Mann namens Enriquez auf seiner Bettdecke aus un d zog seinen großen Sombrero tiefer in sein kantiges Gesicht.
Wie die anderen im Lager hatte auch er nur einen leichten Schlaf und wachte schon beim leisesten Geräusch auf, vorgewarnt für jegliche Gefahr, die folgen mochte. Carly hatte überhaupt nicht geschlafen. Mit müden Augen blickte sie in Dunkelheit, suchte nach dem Mann, der sie mitgenommen
hatte, wartete auf seine Rückkehr und fürchtete sich davor, was er mit ihr machen würde.
Ihr wurde kalt, wenn sie daran dachte, was das sein mochte: Folter, Vergewaltigung, Mord? Sie hatte die Geschichten über ihn gehört. Sie wußte, was für ein Mann er war.
Bei dieser schrecklichen Vorstellung schloß sie die Augen und nickte vor Erschöpfung ein. Erst als in der Stille der grauen Morgendämmerung die Kiesel unter nahenden Schritten knirschten, wachte sie plötzlich auf und wußte, daß jemand vor ihr stand. Ihr Herz raste wie verrückt, und ihr angstvoller Blick fiel auf ein paar hohe, schwarze Stiefel. Beklommen schaute sie an zwei langen, sehnigen Beinen in enger, schwarzer Hose hinauf: schmale Hüften, eine Taille, die in eine muskulöse Brust überging, und breite, gerade, kräftige Schultern. Sie zwang sich, noch höher zu gucken, und starrte in das Gesicht des gutaussehenden spanischen Don, Ramón de la Guerra.
Erleichterung durchflutete sie, so mächtig, daß ihr fast schwindlig wurde. Der Spanier hatte sie gefunden. Statt ermordet zu werden, war sie in Sicherheit.
»Don Ramon - Gott sei Dank!« Sie stemmte sich hoch, wankte ein wenig und hatte Mühe, sich aufrecht zu halten. »Ich ... ich hatte solche Angst. Ich dachte ... Gott sei Dank sind Sie jetzt da.«
»Señorita McConnell«, erwiderte er ohne eine Spur von Herzlichkeit, »wie nett, daß Sie bei uns sind.« Seine Gesichtszüge wirkten kantiger und grimmiger, als sie bisher bemerkt hatte. Seine sinnlichen Lippen waren fest aufeinandergepreßt. Kalt begegnete er ihrem Blick. So unergründlich, ausdruckslos und finster schaute er drein, daß seine Augen schwarz schienen.
Eisige Kälte kroch ihr über den Rücken. Ein Blick in diese harten, dunklen Augen, und sie wußte, sie war nie weniger in Sicherheit gewesen in ihrem Leben als in diesem Moment.
»Sie ... Sie sind nicht... nicht...«
»Don Ramón Martínez y Barranca de la Guerra«, entgegnete er leicht spöttisch. »Zu Ihren Diensten, Señorita.« Das Aufblitzen seiner geraden, weißen Zähne beim Lachen wirkte fast wie bei einem wilden Tier. »Oder vielleicht ist Ihnen El Dragon lieber.«
Carly wankte erneut. Furcht durchzuckte sie so heftig wie ein Messerstich. Möglicherweise wäre sie hingefallen, wenn er sie nicht festgehalten hätte. Seine Finger gruben sich wie Krallen in ihren Oberarm. Carly riß sich von ihm los.
Im ersten Moment brachte sie kein Wort über die Lippen, starrte ihn nur an, als sähe sie ihn zum ersten Mal. Trotz gefesselter Handgelenke zog sie mit zitternden Händen ihren hellblauen Morgenmantel fester um sich. Zorn gewann die Oberhand über die Furcht. Erbost reckte sie ihr Kinn vor und schaute ihm geradewegs in die Augen.
»El Dragón ...«, wiederholte sie, und Verachtung schwang deutlich hörbar in ihrer Stimme mit. »So ein charmanter Betrüger... das hätte ich niemals gedacht.« Sie hob ihr Kinn noch etwas an. »Ich habe tatsächlich geglaubt, Sie wären ein richtiger spanischer Edelmann, der bewundernswert ist. In Wirklichkeit sind Sie nichts anderes als ein Dieb und ein
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