Geliebter Teufel
würde für das, was sie getan hatte, büßen. Wie auch ihr Onkel. Das war Ramon seinem Bruder schuldig.
Dann fiel ihm auf, daß ihre Füße bluteten.
Madre de Dios. »Sanchez!« rief er, und Pedro kam sofort gelaufen. »Versorg das Mädchen.« Seine Stimme klang belegt, und die Worte kamen leicht gepreßt über seine Lippen, als sich in ihm etwas schmerzlich zusammenzog. Dieses Gefühl vermischte sich mit der Trauer, wühlte sie erneut auf und erschwerte ihm das klare Denken. »Sie hätten etwas sagen sollen«, hielt er der Frau verärgert vor. »Ich hätte dafür gesorgt, daß Sie etwas an die Füße bekommen.«
Sie spuckte vor ihm aus. »Ich will nichts von Ihnen. Haben Sie gehört? Nichts!«
Sie verkörperte das, was er haßte - das war ihm gleich bei der ersten Begegnung aufgefallen. Sie war besitzergreifend, lustbetont, verwöhnt und egoistisch.
All das, was er selbst einmal gewesen war.
Er wandte sich ab. Der Schädel brummte ihm mächtig. Er griff in die bolsa, die hinter seinem Sattel hing, und holte eine Flasche mit einem starken aguardiente heraus. Dann zog er den Korken und trank einen kräftigen, betäubenden Schluck. Aber nur einen. Mehr wagte er nicht zu trinken. Er wußte genau, daß er sonst nicht mehr hätte aufhören können, sondern die Flasche geleert hätte, bis er den Schmerz nicht mehr fühlen konnte.
Hinter ihm führte Pedro das Mädchen zum Fluß hinunter, kniete sich hin und half ihr, die blutenden Füße zu säubern. Ein paar Minuten später brachte einer seiner Männer ein paar kniehohe, weiche Mokassins. Der Vaquero sprach mit dem Mädchen, und obwohl Ramon nicht verstehen konnte, was er sagte, konnte er es sich denken.
Sosehr es ihm auch widerstrebte, das zuzugeben, sosehr er wünschte, es wäre nicht die Wahrheit, so wenig konnte er es leugnen: der Respekt, den seine Männer für die Frau empfanden, keimte auch in ihm auf.
Jedes Geräusch schien in der Dunkelheit vertausendfacht. Carly war es nicht gewohnt, sich draußen aufzuhalten. Ihr Onkel hatte sie gewarnt, sich allein nicht weit vom Haus zu entfernen. Im Wald, so hatte er gesagt, waren gefährlich viele wilde Tiere: Berglöwen, giftige Klapperschlangen, große Bullen mit spitzen Hörnern, Wildschweine, und am schlimmsten seien die riesigen, menschenfressenden Grizzlybären. Auch jetzt hörte sie etwas nicht weit vom Lager weg in der Dunkelheit knurren. Eine zweite Kreatur heulte oben auf dem Berg.
Carly fröstelte, wenn sie darüber nachdachte. Selbst wenn sie entkommen könnte, worauf sie wenig Hoffnung hatte, würde sie den Weg nach Hause nicht finden. Die wilden Tiere würden ihr auflauern und nur darauf warten, sie in Stücke zu reißen.
Eine noch größere Gefahr lag nur wenige Meter weit weg auf der anderen Seite des Lagers.
Don Ramon hatte sich auf seiner Schlafdecke ausgestreckt und den scharfen flachkrempigen Hut nach vorn über die Augen gezogen. Eben erst war er auf die Lichtung gekommen, nachdem er zuvor in den Wald gegangen war, während die Männer das Lager aufschlugen. Er war nicht eher zurückgekehrt, bis alle Männer sich schlafen gelegt hatten. Stumm hatte er sich vor das Feuer gesetzt und in die Flammen gestarrt. Sanchez war wach geworden und zu ihm gegangen, aber der Spanier hatte die Mahlzeit, die der ältere Vaquero ihm anbot, abgelehnt.
Trotz aller Erschöpfung, der Angst und dem Entsetzen über die brutale Behandlung durch den Spanier, empfand Carly auch ein wenig Mitleid mit ihm. Sie hatte eine Schwester gehabt, ein kleines Mädchen namens Mary, vier Jahre jünger als sie. Mary war an einem Fieber gestorben, als Carly neun gewesen war. Sie erinnerte sich noch zu gut, wie ihre Mutter geweint hatte, wußte genau, wie schrecklich leer sie sich selbst gefühlt hatte, konnte sich an die Bitterkeit und die Trauer erinnern, die sie durch den Verlust Marys erfahren hatte. Deshalb konnte sie sich gut vorstellen, wie der Don den Verlust seines Bruders empfinden mußte.
Carly lehnte sich an den Baum und schloß die Augen. Sie hatte ein Stück gebratenes Fleisch gegessen, das Sanchez ihr gebracht hatte, und hatte die Decke angenommen, die er ihr gegeben hatte, obwohl er sie mit einem Bein an den Baum gefesselt hatte. Sie hüllte sich tiefer in die warme Decke und versuchte, nicht an den Don zu denken, nicht an ihre müden, schmerzenden Muskeln, die aufgeschrammten Schienbeine, die offenen Füße und den dunkler werdenden Fleck auf ihrer Wange. Statt dessen dachte sie an ihren Onkel, wünschte sich ihn
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