Geliebter Tyrann
auf, nur die feinsten Stoffe und die kostbarsten Spitzen zu kaufen. Er sagte, ich könne seiner Frau dabei helfen, während der langen Reise Kleider zu nähen.« Sie kicherte. »Die Pelze können wir ja von einem Kürschner in Amerika verarbeiten lassen.«
»Pelze?« Nicole fiel der Brief wieder ein. »Janie, diese Sachen sind für Bianca bestimmt, nicht für mich. Wir können keine Kleider für mich daraus nähen; sie würden ihr niemals passen.«
»Ich habe nicht die Absicht, Kleider für eine Frau zu nähen, die ich nie gesehen habe«, sagte sie, sich mit einem Knoten abmühend. »Clay sagte, die Kleider sind für seine Frau, und soweit ich weiß, sind Sie die einzige, die er hat.«
»Nein, das gehört sich nicht. Ich könnte nie etwas annehmen, was für jemand anders bestimmt ist.«
Janie griff unter das Kissen ihrer Koje und zog einen großen Schlüsselbund hervor. »Darüber habe ich zu bestimmen, nicht Sie. Einmal, ein einziges Mal, würde ich gerne erleben, daß Clayton etwas nicht kaufen kann oder umsonst bekommt. Jedes Mädchen und jede Frau in Virginia würde sonst etwas anstellen, um ihm anzugehören; doch er muß sich eine Frau aus England suchen, von der ich gar nicht weiß, ob sie ihn haben möchte.« Sie schloß einen Schrankkoffer auf, hob vorsichtig den Deckel und lächelte auf den Inhalt hinunter.
Nicole konnte ihre Neugier nicht unterdrücken. Sie trat neben Janie und sah hinunter in den Koffer. Ihr stockte der Atem beim Anblick dieser Herrlichkeiten. Es war Jahre her, seit sie zum letztenmal Seide gesehen hatte, und sie hatte nie Seide von solcher Qualität betrachtet
»Die Engländer fürchten sich vor jenen, die sie zu den unteren Klassen zählen, also tun sie so, als gehörten sie zu ihnen, ln Amerika ist jeder gleich. Wenn man sich hübsche Sachen leisten kann, soll man keine Angst haben, sie auch zu tragen.« Janie nahm ein schimmerndes zartes Stück saphirblauer Seide heraus und wickelte es um Nicoles Schultern, breitete es über ihren Rücken aus und band es locker um ihre Taille zusammen. »Was halten Sie davon?«
Nicole hielt den Stoff einen Moment ins Licht und rieb dann ihre Wange daran. Es war ein sinnliches, ja sündhaftes Wohlgefühl.
Janie öffnete inzwischen einen anderen Koffer, »ünd wie gefiele Ihnen das als Schärpe?« Sie holte eine breite Bahn aus mitternachtsblauem Satin hervor und wickelte den Stoff um Nicoles Hüften. Der ganze Koffer schien voller Bänder und Schärpen zu sein.
Ein anderer Koffer wurde aufgeschlossen. »Ein Schal, meine Lady?« Janie lachte, und ehe Nicole etwas sagen konnte, zog sie mindestens ein Dutzend Schals hervor - karierte Wollschals aus Schottland, Kaschmirschals aus England, Baumwollschals aus Indien, Spitzen aus Chantilly...
Nicole war sprachlos über die Menge und Schönheit der Sachen, die Janie vor ihr ausbreitete, als sie einen Koffer nach dem anderen öffnete. Da waren Samtstoffe, Baumwollstoffe, Perkal, weiche Wolle, Mohair, Eiderdaunen, Chalon, Chintz, Tüll, Organdy, Krepp und feine französische Spitzen.
Irgendwo inmitten all der Köstlichkeiten, die Janie ihrem Schützling um den Leib wickelte, begann Nicole zu lachen. Es war einfach zuviel. Als sie sich auf das Bett setzte und Janie aufhören wollte, sie mit Stoffen zu beladen, fingen beide Frauen an zu lachen. Sie wickelten sich scharlachrote und türkisfarbene, grüne und gelbe Stoffbahnen um Schultern und Leib. Es war eine ausgelassene, verrückte Anprobe.
»Aber das Beste haben Sie noch gar nicht gesehen«, rief Janie lachend, während sie sich lange Bahnen von rosenfarbe-nem Tüll und schwarzen Spitzen aus der Normandie vom Kopf abwickelte. Fast ehrfürchtig öffnete sie einen großen Koffer, der ganz hinten gestanden hatte, und hob einen riesigen Pelzmuff in die Höhe. »Wissen Sie, was für ein Pelz das ist?« fragte sie und legte das Stück in Nicoles Schoß.
Nicole vergrub das Gesicht in dem langen, tiefen Pelz und vergaß die Seidenbahnen von sechserlei Farben, die sie sich um den Arm gewickelt hatte, und die durchsichtige indische Gaze um ihren Hals. Es gab nur einen Pelz, der so dicht und so dunkel war - so tief und weich, daß man fast darin ertrank. »Zobel«, sagte sie leise, beinahe ehrfürchtig.
»Ja«, stimmte ihr Janie zu. »Zobel.«
Den Muff im Schoß, sah Nicole um sich. Die kleine Kajüte war erfüllt von Farben, die glitzerten oder schrien, laut waren oder sich unauffällig gaben mit einer versteckten Sinnlichkeit, doch alle lebendig zu sein
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