Geliebter Tyrann
aus.
»Dort!« sagte Nicole und deutete auf das Wasser hinunter. »Ist das nicht der Kapitän?« Der untersetzte Mann saß in einem kleinen Beiboot, während einer seiner Matrosen die Ruder bediente.
»Ich glaube, er hat es eilig, das Schiff zu wechseln.«
Ein paar Yards von dem Paketboot entfernt wartete eine gewaltige Fregatte, auf deren Flanken zwei Reihen von Kanonen 'aufragten. Viele Männer waren damit beschäftigt, Bündel und Pakete über die breite Gangway hinauf- und hinabzutragen. Die beiden Frauen beobachteten, wie der Kapitän an Land ging, ehe sein Schiff die Mole erreicht hatte: das Paketboot manövrierte sich immer noch langsam durch die Hafeneinfahrt an den Kai heran. Der Kapitän stieg die
Gangway zum Oberdeck der Fregatte hinauf und begab sich zum Heck dieses Schiffes.
Die Frauen waren noch ein gutes Stück von der Fregatte entfernt, und die Männer an deren Deck sahen klein aus. »Dort ist Clay!« rief Janie plötzlich.
Nicole betrachtete neugierig den Mann, mit dem der Kapitän gerade sprach; doch aus dieser Entfernung unterschied er sich kaum von all den anderen Männern an Deck. »Woran können Sie ihn denn erkennen?«
Janie lachte. Sie war froh, wieder zu Hause zu sein. »Sobald ich Sie mit Clay bekannt gemacht habe, wissen Sie, woran man ihn erkennt«, sagte sie, wendete sich abrupt ab und ließ Nicole allein an der Reling zurück.
Nicole strengte ihre Augen an, um den Mann zu betrachten, der nun ihr Ehemann war. Dabei drehte sie nervös den schmalen Goldreif an ihrer linken Hand.
»Hier«, sagte Janie und drückte ihr ein Fernglas in die Hand. »Damit können Sie ihn besser sehen.«
Selbst durch das Fernglas betrachtet, waren die Männer klein; aber sie konnte sich doch ein Bild von dem Mann machen, der nun mit dem Captain sprach. Er hatte einen Fuß auf einen Ballen Baumwolle gestützt, stand mit dem anderen auf den Planken. Er war vorgebeugt, die Unterarme ruhten auf dem angewinkelten Knie. Selbst in dieser gebeugten Stellung war er noch größer als der Kapitän. Er trug eine hellbraune, stramm sitzende Hose und schwarze Lederstiefel, die ihm bis zu den Knien reichten. Ein drei Zoll breiter schwarzer Ledergürtel lag um seine Hüften. Sein Hemd spannte sich um die Schultern, es war am Hals geöffnet, und die Ärmel waren bis über die Ellenbogen aufgerollt, so daß man seine kräftigen, sonnengebräunten Unterarme sah. über sein Gesicht ließ sich aus dieser Entfernung nicht viel sagen; doch er hatte die braunen Haare locker nach hinten gekämmt und im Nacken zusammengebunden.
Sie nahm das Glas von den Augen und wandte sich Janie zu.
»Oh, tun Sie das nicht«, sagte Janie. »Ich habe diesen Ausdruck zu oft gesehen. Nur weil ein Mann groß und hübsch ist, ist das für Sie kein Grund, sich ihm zu ergeben. Er wird schrecklich wütend sein, wenn er herausfindet, was passiert ist, und wenn Sie sich nicht kräftig zur Wehr setzen, wird er Ihnen die Schuld für alles geben.«
Nicole sah ihre Begleiterin lächelnd mit glänzenden Augen an. »Du hast aber nie erwähnt, daß er groß und hübsch sei«, sagte sie im neckenden Ton.
»Ich habe auch nie gesagt, daß er häßlich sei. Undnun möchte ich, daß Sie in die Kajüte zurückgehen und dort warten, weil er, wie ich Clay kenne, in wenigen Minuten hier sein wird. Ich möchte zuerst mit ihm sprechen und erklären, was dieser Schuft von Kapitän angerichtet hat. Undnun rasch wieder unter Deck!«
Gehorsam kehrte Nicole in die dunkle kleine Kajüte zurück. Sie empfand fast so etwas wie Schwermut, daß sie nun davon Abschied nehmen mußte, ln den letzten vierzig Tagen waren Janie und sie sich sehr nahe gekommen.
Ihre Augen hatten sich gerade wieder an das Dämmerlicht gewöhnt, als die Kajütentür plötzlich aufsprang. Ein Mann, bei dem es sich nur um Clayton Armstrong handeln konnte, stürmte in den Raum. Seine breiten Schultern füllten den Platz aus, daß Nicole meinte, sie stünde mit ihm in einem Schrank.
Clay wartete gar nicht erst ab, bis seine Augen sich dem schlechten Licht angepaßt hatten. Er sah nur die Umrisse seiner Frau. Ein langer Arm schoß vor und zog sie an seine Brust.
Nicole wollte protestieren; doch dann fanden seine Lippen die ihren, und da war es ihr unmöglich. Sein Mund hatte einen sauberen Atem, war kräftig und fordernd und doch zugleich sanft. Trotzdem machte sie einen schwachen Versuch, ihn von sich wegzuschieben. Seine Arme spannten sich noch fester um ihren Leib, und er hob sie hoch, daß ihre
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