Geliebter Tyrann
spöttischen Blick von Clay auf, als könnte er ihre Gedanken lesen.
Nach dem Frühstück bat Clay Nicole, ihn zu begleiten. Er hielt im Schatten eines Zedernbaumes bei den Quartieren der Bediensteten, wo ein sehr alter Mann bei einer Schnitzarbeit saß. »Jonathan, wo sind die Zwillinge?«
»ln dem alten Walnußbaum beim Haus des Aufsehers.«
Clay nickte kurz und wollte sich, Nicole auf seinen Fersen, wieder entfernen.
»Ist das die neue Missus?« fragte Jonathan.
»Das ist sie.« Ein bißchen Wärme lag in Clays Stimme.
Jonathan grinste und zeigte seinen zahnlosen Gaumen. »Ich hätte mir vorgestellt, daß Sie eine Blondine heiraten würden, ein bißchen großer und plumper als diese da.«
Clays Hand legte sich wie eine Klammer um Nicoles Unterarm. Er wandte sich scharf von dem alten Mann ab, dessen Lachen ihnen in den Ohren klang. Nicole brannte eine Frage auf der Zunge; doch sie hatte nicht den Mut, sie zu äußern.
Die Zwillinge turnten tatsächlich in dem alten Baum herum. Nicole blickte lächelnd zu ihnen hoch und bat sie, herunterzuklettern, weil sie mit ihnen reden wollte. Die Kinder kicherten und kletterten nur noch höher hinauf.
Sie wandte sich Clay zu: »Vielleicht gehorchen sie, wenn Sie mit den beiden sprechen.«
Er zuckte mit den Achseln. »Ich hab’ kein Verlangen nach den beiden. Ich muß arbeiten.«
Sie sah ihn vorwurfsvoll an und forderte dann die Zwillinge abermals auf, herunterzuklettern. Doch die beiden sahen nur mit einem spitzbübischen Grinsen auf sie hinunter, und sie wußte, daß sie diese Machtprobe gewinnen mußte, sonst hätten die beiden nie mehr Respekt vor ihr. Sie wandte sich wieder an Clay: »Was würden Sie tun, wenn Sie die beiden vom Baum herunterholen wollten? Ihnen das befehlen?«
»Sie würden mir genausowenig folgen wie Ihnen«, sagte er und sah mit Verschwörermiene zu ihnen hinauf. »Wenn ich Sie wäre, würde ich ihnen nachsteigen.«
Das Kichern der Zwillinge war eine Herausforderung, und sie wußte, daß Clay sie belog. Sie zweifelte nicht eine Sekunde, daß die Kinder ihm gehorchen würden. Sie hob ihr Kleid an und streifte die Schuhe ab. »Wären Sie so freundlich, mir auf den Baum zu helfen?« fragte sie.
ln Clays Augen blitzte es auf. »Mit Vergnügen«, sagte er, während er sich bückte und die Hände zu einem Steigbügel zusammenschob.
Sie wußte, er hätte sie auf den untersten Ast hinaufheben können; doch er gab ihr so wenig Hilfe wie möglich. Was keiner von den dreien wußte: Nicole war eine geübte Kletterin. Auf dem Grundstück, das zu dem Schloß ihrer Eltern gehört hatte, stand ein alter Apfelbaum, den sie mit geschlossenen Augen erklettern konnte. Sie zog sich auf den untersten Ast hinauf, langte zum nächsten empor und bemerkte, daß auf der anderen Seite eine Leiter gegen den Baum gelehnt war. Sie sah zu Clay hinunter, der zu ihr hinaufstarrte, die Hände an den Hüften, die Beine weit auseinandergestellt. Er amüsierte sich großartig, Nun folgte eine minutenlange Jagd in der Baumkrone. Nicole hatte den Rock über die Knie aufgerollt und zeigte ihre nackten Beine. Als ersten fing sie Alex und reichte ihn zu Clay hinunter, der wenigstens, wie sie dankbar bemerkte, bereit war, ihr die Kinder abzunehmen.
Mandy kletterte auf einen dünnen kleinen Ast hinaus und grinste Nicole an. Nicole grinste zurück und kroch ihr nach. Als
der Ast zu knacken begann, schrie Mandy: »Du bist zu schwer!« Sie sah hinunter und lachte. »Fang mich auf, Onkel Clay!« rief sie vergnügt und sprang in die ausgebreiteten Arme ihres Onkels.
Zu spät erkannte Nicole, daß sie tatsächlich für den dünnen Ast zu schwer war. Er begann, unter ihr wegzuknicken.
»Springen!« befahl eine Stimme. Ohne sich lange zu besinnen, ließ Nicole den Ast los und landete gleichfalls in Clays Armen.
»Du hast sie gerettet, Onkel Clay! Du hast sie gerettet!« rief Alex.
Nicole, die erschrockener war, als sie zugeben wollte, sah zu Clay hoch. Er lächelte! Sie hatte ihn noch nie so lächeln gesehen, oder vielleicht war es auch nur so, daß in ihren Augen Clay in letzter Zeit immer das Richtige zu tun schien. Jedenfalls erwiderte sie mit strahlenden Augen sein Lächeln.
»Das Ganze noch einmal!« rief Mandy und lief wieder zur Leiter.
»Nein, jetzt ist Schluß«, sagte Clay. »Sie hat euch gefangen, und damit seid ihr nun in ihrer Gewalt. Ihr tut, was Miss Nicole sagt. Und wenn ich nur eine Klage höre...« Er sah sie mit schmalen Augen an, und sie wichen vor ihm
Weitere Kostenlose Bücher