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Geliebter Tyrann

Titel: Geliebter Tyrann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jude Deveraux
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Unser Haus war immer noch eine einzige Fackel, und es war fast so hell wie am Tag. Großvater zog mich mit sich fort, als ich auf das Haus zurücksah. >Schau immer nach vorn, Kind, nie zurück<, sagte er. Wir wanderten die ganze Nacht hindurch und den darauffolgenden Tag. Bei Sonnenuntergang hielten wir an und öffneten die Kassette, die er aus dem Haus mitgenommen hatte. Papiere lagen darin und ein Smaragdarmband, das meiner Mutter gehörte.« Sie seufzte, als sie sich daran erinnerte, wie sie die Smaragde dazu benützt hatten, dem Müller zu helfen. Dann hatte sie die letzten beiden Steine verkauft, damit sie Teilhaberin ihrer Cousine in deren Modeladen werden konnte. »Ich hatte immer noch nicht begriffen, was damals geschah«, fuhr sie fort »Ich war so ein naives, behütetes Kind. Mein Großvater sagte, es wäre Zeit, daß ich erwachsen würde und die Wahrheit verstände. Er sagte, daß die Leute uns töten wollten, weil wir in einem schönen großen Haus wohnten. Er sagte, von nun an müßten wir uns davor hüten, den Leuten zu verraten, wer wir seien. Er nahm die Papiere aus der Kassette und vergrub sie. Er sagte, ich müsse mir immer bewußt bleiben, wer ich sei, daß die Courtalains die Abkömmlinge und Verwandte von Königen sind.«
    »Kamen sie dann in das Haus des Müllers?«
    »Ja«, sagte sie tonlos, als wollte sie nun nicht mehr weiterreden.
    Clay ließ sie noch einmal von dem Sherry trinken. Es war ihm gar nicht wohl dabei, daß er sie betrunken machte; doch er wußte, es war die einzige Möglichkeit, sie zum Sprechen zu bringen. Er hatte schon lange gespürt, daß sie etwas vor ihm verbarg. Heute nachmittag, als er sich nach ihrer Familie erkundigt hatte, hatte er bemerkt, wie das blanke Entsetzen in ihre Augen trat.
    Er strich ihr das Haar aus der Stirn. Ihre Locken waren feucht von Schweiß. Sie war so zierlich, aber sie trug so viele schwere Dinge mit sich herum. Erst, als sie so wütend auf ihn geworden war, hatte er begriffen, wie recht sie hatte. Seit sie nach Amerika gekommen war, hatte er sie nie betrachtet, ohne sich zu wünschen, an ihrer Stelle Biancas Züge mit den blonden Haaren darüber zu sehen. Doch jetzt, als er an all die Dinge dachte, die sie vollbracht hatte, seit sie in Amerika war, war ihm klargeworden, daß sie sich vor niemandem zu verstecken brauchte.
    Er nahm ihr das leere Sherryglas ab. »Warum hast du Frankreich und das Haus des Müllers verlassen? Du mußt dort doch sicher gewesen sein.«
    »Sie waren alle sehr nett.« Ihr Akzent wurde noch schwerer. Sie schien manche Worte mehr im Hals als mit dem Mund zu sprechen. Jede Silbe, die sie aussprach, schien erst in Sahne getaucht zu sein. »Mein Großvater sagte, ich sollte ein Gewerbe lernen und daß das Handwerk des Müllers seinen Mann ernährte. Der Müller meinte, ein Mädchen würde nie begreifen, wie man mit Mahlsteinen und Getreide umgehen müsse; doch mein Großvater lachte ihn nur aus.«
    Sie hielt inne und lächelte. »Ich könnte deine Mühle betreiben. Ich könnte dir damit Geld verdienen.«
    »Nicole«, sagte er in gütigem und zugleich befehligendem
    Ton, »warum bist du so verstört bei einem Gewitter? Warum hast du das Haus des Müllers verlassen?«
    Sie starrte zum Fenster hinüber, als der Regen von neuem gegen die Scheiben trommelte. Ihre Stimme klang sehr leise: »Wir waren oft genug gewarnt worden. Der Müller war aus der Stadt zurückgekommen, ehe er das Mehl verkauft hatte, das er auf seinem Wagen mitführte. Er sagte, es wären ein paar Unruhestifter aus Paris in der Stadt eingetroffen. Viele Leute wußten von meinem Großvater und mir. Er war sein ganzes Leben lang ein Aristokrat gewesen, und er sagte, er sei zu alt, um sich jetzt noch umstellen zu können. Was niemand verstehen konnte, war die Einstellung meines Großvaters: er behandelte jeden gleich. Er behandelte den König genauso wie einen Stalljungen. Er sagte, nachdem Ludwig XIV. gestorben war, wäre kein richtiger Mann mehr auf den Thron gekommen.«
    »Der Müller kam aus der Stadt zurück, ohne sein Mehl verkauft zu haben«, wiederholte Clay.
    »Er sagte, wir sollten uns verstecken, flüchten, irgend etwas tun, damit wir sicher wären. Er hatte eine große Zuneigung zu meinem Großvater gefaßt. Großvater lachte ihn aus. Ein Gewitter zog auf und mit ihm die Stadtleute. Ich war ganz oben im Speicher und zählte Futtersäcke. Ich blickte aus dem Fenster, und als die Blitze aufflammten, sah ich sie kommen. Sie trugen Mistgabeln und Sensen.

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