Geliebter Tyrann
Manche von ihnen kannte ich. Ich hatte ihnen beim Mahlen ihres Korns geholfen.«
Clay spürte, daß sie am ganzen Körper zitterte, und er hielt sie fest an seiner Brust. »Hat dein Großvater sie gesehen?«
»Er lief die Treppe zum Speicher hinauf, wo ich die Säcke zählte. Ich sagte ihm, ich würde mich mit ihm zusammen den wütenden Leuten stellen und daß ich eine Courtalain wäre wie er. Er sagte, ich wäre die einzige, die nun übriggeblieben sei. Er sprach, als wäre er bereits tot. Er packte einen leeren Futtersack und stülpte ihn mir über den Kopf. Ich glaube, ich war zu betäubt, um widersprechen zu können. Er band den Sack oben zu und flüsterte, wenn ich ihn liebte, würde ich mich nicht von der Stelle bewegen. Er packte volle Getreidesäcke um mich herum. Ich hörte, wie er wieder die Treppe hinunterstieg. Minuten später drang der Mob in die Mühle ein. Sie durchsuchten den Speicher, und ein paarmal kamen sie mir sehr nahe.«
Clay küßte ihre Stirn, er hielt sie gegen seine Wange. »Und dein Großvater?« fragte er flüsternd.
»Ich wühlte mich wieder aus dem Sack hinaus, als sie abgezogen waren. Ich wollte hinaus und mich überzeugen, daß er in Sicherheit war. Als ich aus dem Fenster sah...« Ihr Körper zog sich wie bei einem Krampf zusammen, und er zog die Decke noch fester um ihre Schultern.
»Was war vor dem Fenster?«
Sie zuckte von ihm weg, stemmte die Hände gegen seine Brust. »Mein Großvater war dort. Er war dort und lächelte mich an.«
Clay betrachtete sie verwirrt.
»Begreifst du denn nicht? Ich war auf dem Speicher. Sie hatten ihm den Kopf abgeschlagen und diesen auf eine Lanze gesteckt. Sie trugen ihn hoch über ihren Köpfen wie eine Trophäe. Ein Blitz zuckte auf, und ich sah ihn!«
»O Gott«, stöhnte Clay und zog sie wieder an seine Brust, obwohl sie sich noch gegen ihn wehrte. Als sie zu weinen begann, hielt er sie auf seinen Schenkeln und wiegte sie. Er liebkoste ihr Haar.
»Sie brachten auch den Müller um«, sagte sie nach einer Weile. »Die Frau des Müllers bestürmte mich, wegzugehen, weil sie mich nicht länger schützen könne. Sie nähte drei Smaragde in den Saum meines Kleides und brachte mich auf ein Schiff nach England. Die Smaragde und mein Medaillon waren alles, was mir von meiner Kindheit geblieben war.«
»Und dann kamst du zu Bianca, und ich entführte dich aus England.«
»Du sagst das so, als wäre mein ganzes Leben nur eine Katastrophe gewesen. Ich hatte aber eine sehr glückliche Kindheit. Ich lebte auf einem großen Besitz und hatte viele Vettern als Spielgefährten.«
Er war froh, daß sie sich offensichtlich erholte. Er hoffte, daß die Beichte dieser Tragödie eine heilsame Wirkung auf sie haben würde. »ünd wie viele Herzen hast du gebrochen? Waren sie alle in dich verliebt?«
»Keiner von ihnen! Ein Vetter küßte mich, aber es gefiel mir nicht. Ich mochte nicht dulden, daß mich einer von ihnen noch einmal küßte. Du bist der einzige...« Sie hielt inne und lächelte, fuhr dann mit ihrem Finger am Rand seiner Lippen entlang. Er küßte ihn, und sie hielt den Finger hoch, um ihn zu betrachten. »Dumme, dumme Nicole«, flüsterte sie.
»Warum nennst du dich dumm?«
»Die ganze Geschichte ist reichlich komisch. Ich fahre mit der Kutsche durch den Park, und im nächsten Moment wache ich auf einem Schiff auf, das nach Amerika unterwegs ist. Dann werde ich gezwungen, einen Mann zu heiraten, der mich als Diebin bezeichnet.« Sie schien nicht zu merken, wie Clay zusammenzuckte. »Daraus könnte man ein großartiges Theaterstück machen. Die schöne Heidin Bianca ist mit dem schönen Helden Clayton verlobt. Doch ihre Heiratspläne werden von der ruchlosen Nicole durchkreuzt. Die Zuschauer würden auf ihren Sitzen kleben bleiben bis zum Ende des Stücks, wenn die wahre Liebe sich durchsetzt und Bianca und Clay wieder vereinigt sind.«
»ünd was wird aus Nicole?«
»Ah! Ein Richter gibt ihr ein Papier, auf dem steht, daß sie nie existiert habe, und daß es die Zeit, die sie mit dem Helden verbracht hat, nie gegeben hat.«
»Ist es das, was Nicole will?« fragte er leise.
Sie hielt den Finger, den er geküßt hatte, an ihre Lippen. »Arme, dumme Nicole: Du hast dich in den Helden verliebt! Ist das nicht komisch? Er hat sie nicht einmal angesehen in den zehn Minuten ihrer Trauung: doch sie ist in ihn verliebt. Weißt du, daß er sagte, ich wäre eine bewundernswerte Frau? Das arme dumme Ding steht da wie eine Bettlerin, die ihm ihre
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