Geliebter Tyrann
sehen. Sie griff nach seinen Hüften, fuhr mit ihrer Hand an seinem Körper hinunter. Sie gab ihm das Gefühl, als genieße sie ihn genauso wie er sie. Die Frauen, die er bisher gehabt hatte, waren fordernd gewesen, oder meinten, sie täten ihm einen Gefallen.
Er fiel auf sie, als seine Stöße härter und schneller wurden. Sie zog ihn immer fester an sich und schlang ihre Beine um seine Hüften. Als sie gemeinsam zum Höhepunkt kamen, hingen sie fest aneinander, während ihr Schweiß sich vermischte, als wären sie nur ein Körper.
Für Nicole war es ein neues wundervolles Erlebnis gewesen. Sie hatte etwas Erhebendes, Himmlisches erwartet. Die animalische Leidenschaft, die sie erfahren hatte, war viel mehr, als sie für möglich gehalten hatte. Sie schlief in Clays Armen ein.
Clay wollte sie auch nicht einen Millimeter von sich wegrücken lassen. Obwohl er schon mit vielen Frauen geschlafen hatte, hatte er das Gefühl, als wäre dies das erste Mal gewesen. Zum erstenmal seit Jahren schlief er mit einem Lächeln auf seinem Gesicht ein.
Als Nicole am nächsten Morgen erwachte, dauerte es noch Minuten, ehe sie die Augen öffnete. Sie streckte sich behaglich in der Gewißheit, daß sie, wenn sie die Lider öffnete, die dunkle Täfelung von Clays Schlafzimmer sehen würde, das Kissen, auf dem sein Kopf geruht hatte. Sie spürte, daß er fort war; doch ihr Glück war viel zu groß, als daß es dadurch getrübt wurde.
Als sie endlich um sich blickte, war sie überrascht, die weißen Wände ihres eigenen Zimmers vor Augen zu haben. Ihr erster Gedanke war, daß Clay sie nicht die ganze Nacht in seinem Bett haben wollte. Sie warf die leichte Steppdecke beiseite und sagte sich, dieser Gedanke wäre absurd. Sie vermutete eher, daß er ihr die Wahl überlassen wollte, ob jemand sie in ihrem eigenen oder in seinem Bett finden sollte.
Sie ging zum Schrank und suchte ein wunderhübsches Kleid aus blaßblauem Musselin heraus, dessen Rocksaum und Taille mit einem dunkelblauen Satinband besetzt waren. Auf ihrer Frisierkommode lag ein Zettel: »Frühstück um neun. Clay.« Sie lächelte, und ihre Finger zitterten, als sie ihr Kleid zuknöpfte.
Die Uhr in der Halle schlug sieben, und sie fragte sich, warum sie denn unbedingt bis neun Uhr warten mußte, um ihn wiederzusehen. Sie blickte in die Zimmer der Zwillinge und überzeugte sich, daß auch sie schon angezogen und fortgegangen waren.
Sie verließ das Haus durch die Gartentür, blieb aber dann auf der kleinen achteckigen Veranda unschlüssig stehen. In der Regel ging sie nach links, zur Küche. Plötzlich drehte sie sich auf dem Absatz um und lief zu der Treppe rechter Hand, die zu Clays Büro führte.
Sie war noch nie in seinem Büro gewesen, und sie hatte irgendwie das Gefühl, daß nur sehr wenige Leute dorthin gingen. Es glich einer Miniaturausgabe des Haupthauses: rechteckig mit einem steilen Satteldach. Nur hatte es keine Veranden und Mansardenfenster.
Sie klopfte leise an die Tür, und als sie keine Antwort bekam, drückte sie die Klinke nieder. Sie war neugierig auf den Ort, wo der Mann, den sie liebte, so viel Zeit verbrachte.
Die der Tür gegenüberliegende Wand hatte zwei Fenster, die von Bücherregalen umrahmt waren. Die Ahornbäume hinter dem Haus spendeten Kühle und Schatten. An den Seitenwänden standen aus Eiche gefertigte Aktenschränke und ein Kabinett für zusammengerollte Dokumente. Sie ging in den Raum hinein. Die Bücherregale waren mit Folianten über Gesetze des Staates Virginia gefüllt, mit Vermessungsbüchern und Lehrschriften über Ackerbau, Fruchtfolge und dergleichen. Sie lächelte und fuhr mit dem Finger an einigen der in Leder gebundenen Folianten entlang. Sie waren sauber, aber nicht von dem Gebrauch eines Staublappens, wie sie Clay kannte, sondern von häufiger Benützung.
Immer noch lächelnd, drehte sie sich der gegenüberliegenden Wand zu, wo sich der Kamin befand. Sogleich erlosch das Lächeln auf ihrem Gesicht, über dem Kamin hing ein riesiges Porträt- von Bianca! Es war Bianca in ihrer vorteilhaftesten Pose, ein bißchen schlanker, als Nicole sie in Erinnerung hatte. Ihr honigblondes Haar von ihrem ovalen Gesicht zurückgekämmt, und Locken, fett wie Würste, hingen über ihre bloßen Schultern. Ihre Augen waren von einem strahlenden, tiefen Blau, ihr kleiner Mund zu einem Lächeln geöffnet. Es war ein spitzbübisches, elfengleiches Lächeln, das Nicole noch nie an ihr gesehen hatte. Es war ein Lächeln, das sie für jemand
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