Geliebter Tyrann
gäbe.
Nachdem die hölzerne Rinne von Abfällen gereinigt war, das Wasser ungehindert hindurchfließen konnte, die Schöpfbecher füllte und das Wasserrad in Gang setzte, gab es einen Jubel in der Mühle, den man meilenweit hören konnte.
Nicole war nicht überrascht, als schon am nächsten Tag der erste Kunde mit einer kleinen, mit Getreidesäcken beladenen Barke erschien. Sie wußte, daß Clay zwei Männer losgeschickt hatte - den einen flußaufwärts, den anderen flußabwärts-, um überall die Kunde von der Wiedereröffnung der Mühle zu verbreiten.
Inzwischen waren fast zwei Wochen vergangen, seit sie ihn zuletzt gesehen hatte, doch es gab kaum eine Sekunde, in der sie nicht an ihn dachte. Zweimal hatte sie einen flüchtigen Blick auf ihn erhascht, als er über seine Felder ritt, doch , jedesmal hatte sie sich rasch umgedreht.
Eines Morgens am vierten Tag seit Eröffnung der Mühle-wachte sie sehr zeitig auf. Draußen war es noch nicht hell, und sie hörte Janies tiefe Atemzüge von der anderen Wand des Zimmers herüber. Nicole zog sich hastig im Zwielicht an und ließ das Haar locker über ihre Schultern hinabhängen.
Irgendwie war sie gar nicht verwundert, als sie Clay vor dem Wasserrad stehen sah. Er trug eine lohfarbene Hose und hohe Stiefel mit umgekrempelten Stulpen. Er hatte die Hände auf dem Rücken verschränkt, das Gesicht dem Fluß zugedreht, und sein Hemd schimmerte im Zwielicht wie frisch gefallener Schnee, desgleichen der breitkrempige Hut, den er auf dem Kopf trug.
»Du hast gute Arbeit geleistet«, sagte er, ohne sich umzudrehen. »Ich wünschte, ich brächte meine Leute dazu, nur halb so viel für mich zu tun.«
»Vielleicht war es die Notwendigkeit.«
Er drehte sich um und sah sie mit brennenden Augen an. »Nein, keine Notwendigkeit. Du könntest jederzeit in mein Haus zurückkommen.«
»Nein«, sagte sie, rasch atmend, »es ist besser so.«
»Die Zwillinge fragen ständig nach dir. Sie wollen dich sehen.«
Sie lächelte. »Ich habe sie vermißt. Vielleicht läßt du sie zu mir in die Mühle kommen.«
»Ich dachte eher daran, daß du zu ihnen kommst. Wir könnten heute abend zusammen essen. Ein Schiff legte gestern an der Mole an und brachte einige Sachen aus Frankreich. Brie, Burgunder und Champagner. Man bringt die Ladung heute den Fluß herauf.«
»Das klingt verführerisch, aber...«
Er trat an sie heran und faßte sie an den Schultern. »Du kannst doch nicht ernstlich daran denken, mir immer aus dem Weg zu gehen. Was verlangst du von mir? Verlangst du, daß ich dir sage, wie sehr ich dich vermisse? Ich glaube, alle auf der Plantage sind mir böse, daß du meinetwegen das Haus verlassen hast. Maggie setzt mir entweder verbranntes oder noch nicht gares Essen vor; ein Zwischending kennt sie nicht. Die Zwillinge haben gestern abend geweint, weil ich ihnen kein verdammtes französisches Märchen von einer Dame erzählen konnte, die sich in ein Monster verliebt.«
»>Die Schöne und die Bestie<.« Nicole lächelte. »Du möchtest also, daß ich zurückkomme, damit du wieder eine ordentliche Mahlzeit bekommst.«
Er zog eine Augenbraue in die Höhe. »Drehe mir nicht die Worte im Mund herum. Ich wollte nie, daß du das Haus verläßt. Wirst du zum Abendessen kommen?«
»Ja«, sagte sie.
Er zog sie an sich und gab ihr einen raschen, heftigen Kuß, ließ sie wieder los und ging.
»Ich dachte, es funktioniere nicht«, sagte Janie hinter Nicoles Rücken.
Nicole wußte darauf keine Antwort. Sie ging ins Haus zurück und begann mit ihrem Tagwerk.
Es waren Stunden, in denen Nicole sich sehr beherrschen mußte, damit man ihr die Nervosität nicht zu sehr anmerkte. Als Vernon die Getreidesäcke wog und Nicole die Zahlen hinunterrief, mußte sie ihn bitten, das Gewicht zu wiederholen, damit sie bei den Eintragungen keinen Fehler machte. Aber sie vergaß nicht, Maggie ein Rezept für Dindon ä la Daube zu schicken, ein Rezept für vom Knochen gelöstes Truthahnfleisch, das mit einer Füllung in der Kasserolle gebraten und serviert wird. Maggie hatte eine Vorliebe für gutes Essen, und Nicole wußte, daß sie vermutlich zwei Truthähne zubereiten würde, einen für das Herrenhaus und einen für sie und das Küchenpersonal.
Um sechs Uhr kam Clays Ruderboot mit Anders, dem Grundstücksverwalter, über den Fluß. Er war ein großgewachsener blonder Mann und lebte mit seiner Frau und seinen beiden Kindern in einem Haus in unmittelbarer Nähe von Clays Büro. Seine Kinder spielten oft mit
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