Gelinkt
Selbst wenn das nicht der Fall sein sollte, hatte Rensselaer erklärt, sei es besser, die Chance, einen ihrer hochkarätigen Agenten zu kriegen, sausenzulassen, als sie zu gefährden. Manchmal wünschte sie, das Leben mit der gleichenkaltblütigen Ungerührtheit betrachten zu können, die Bret Rensselaer an den Tag legte. Jedenfalls konnte sie seine Interpretation der Sachlage nicht anfechten und wußte nicht mal, ob sie’s wollte. Aber was würde nun passieren? Martin erwog diese Möglichkeit mit listigem Lächeln. »Na, wenn’s denn ein Test war, haben Sie den jedenfalls mit Glanz und Gloria bestanden«, sagte er stolz.
Zum ersten Mal wurde ihr bewußt, was für eine treue Stütze sie in Martin hatte. Martin hatte auf sie gesetzt. Seine Hoffnungen standen und fielen mit ihr, und er würde alles eher tun, als sich mit dem Gedanken anfreunden, daß sein Schützling nicht der einflußreichste sowjetische Agent der neueren Geschichte war. »Es wird allmählich spät.«
»Keine Aufregung. Sie werden Ihren Zug schon noch schaffen. Bernard kommt heute ja wohl aus Berlin zurück, nicht?« Sie antwortete nicht. Martin hatte nicht das Recht,
- 75 -
solche Fragen zu stellen, nicht mal in einem freundlichen Gespräch. Martin sagte: »Ich achte schon auf die Zeit. Machen Sie sich keine Sorgen.«
Sie lächelte. Jetzt tat es ihr leid, daß sie ihn so angefahren hatte. Die Russen glaubten, daß sie beide durch starke Gefühlsbande miteinander verbunden wären. Daß Martins onkelhafte Art ebenso wie seine unerschütterliche politische Überzeugung wesentlicher Bestandteil ihrer Hingabe an die Sache des Sozialismus seien. Sie wollte ihnen keinen Anlaß geben, diese Theorie zu überprüfen.
Sie sah sich in dem winzigen Zimmer um und fragte sich, ob Martin hier ständig wohnte oder ob dies nur ein sicheres Haus für Begegnungen dieser Art war. Es sah bewohnt aus. Essen in der Küche, Kohle vor dem Kamin, die geöffnete Post hinter die Uhr geklemmt, die auf dem Kaminsims tickte, eine wohlgenährte Katze auf der Pirsch durch den gepflegten Garten. Ein voll aufgetakelter Klipper an der Wand hinter geputztem Glas. Es gab Bücher hier in Hülle und Fülle. Lenin und Marx, sogar Trotzki starrten von den Regalen im Verein mit den von Martin verehrten Fabiern, eine Enzyklopädie des Sozialismus sowie Rousseau und John Stuart Mill. Selbst die geschwätzigen Werke seines Vaters hatte Martin da. Die Tarnung war geschickt. Sogar ein Sicherheitsexperte würde zögern, jemanden als KGB-Agenten zu identifizieren, der solche Vertrautheit mit den Philosophien der Dissidenten, Revisionisten und Verräter an den Tag legte. Martin war getarnt als kauziger, altmodischer und wesentlich britischer linker Spinner, den die Ereignisse der modernen internationalen Politik unberührt ließen. »Es ist wegen meines Sohnes Billy. Heute morgen war sein Rachen geschwollen«, sagte Fiona und blickte wieder auf die Uhr. »Das Kindermädchen sollte um diese Zeit mit ihm deswegen zum Arzt gehen. Unsere Nanny ist ein vernünftiges Mädchen.«
»Natürlich ist sie das.« Er mißbilligte Kindermädchen und
- 76 -
andere Haussklaven. Sie erinnerten ihn an seine eigene Kindheit und riefen, wenn er an seinen Vater dachte, gemischte Gefühle in ihm wach, über die er noch immer nicht gerne nachdachte. »Es wird schon wieder werden.«
»Ich hoffe, daß es nicht Mumps ist.«
»Ich achte auf die Zeit«, sagte er abermals.
»Guter, zuverlässiger Martin«, sagt sie.
Er lächelte und zog an seiner Pfeife. Das war, was er hören wollte.
Es war ein langhaariger Junge, der auf einem Fahrrad kam.
Er lehnte es an den Zaun und ging durch den Garten, um an die Haustür zu klopfen. Der Kanarienvogel erwachte und sprang von Stange zu Stange, so daß der Käfig zu schaukeln begann.
Martin ging zur Tür und kehrte mit einem Blatt Papier zurück, das er einem verschlossenen Umschlag entnommen hatte. Er reichte es ihr. Es war die gedruckte Quittung eines örtlichen Blumengeschäfts. Mit Filzstift war darauf geschrieben: »Der von Ihnen bestellte Kranz ist wie gewünscht geliefert worden.«
Ein großer ovaler roter Gummistempel war darunter gesetzt:
»Bezahlt.«
»Verstehe ich nicht«, sagte sie.
»Blum ist tot«, verkündete er leise.
»Mein Gott!« sagte Fiona.
Er sah sie an. Ihr Gesicht war ganz weiß geworden.
»Machen Sie sich keine Sorgen. Sie sind so rein wie frisch gefallener Schnee aus der Sache rausgekommen.« Dann begriff er, daß die Nachricht von Blums Tod
Weitere Kostenlose Bücher