Gelinkt
Geschichte auftischen müssen, und Silas hatte das noch nicht alles ausgearbeitet. Wie alle, die in der Londoner Zentrale saßen, hatte Sir Henry nur sehr ungefähre Vorstellungen von dem, was sich an der Front abspielte. Silas war da näher dran gewesen. »Lassen Sie mich Ihnen in großen Zügen skizzieren, was wir benötigen, Henry. Wir werden eine Leiche brauchen, die wir als diejenige Mrs. Samsons an Ort und Stelle lassen können, die Leiche einer noch jungen Frau. Ich würde nicht raten, eine Leiche durch die Grenzkontrollen zu schmuggeln, erst recht nicht in einem Diplomatenfahrzeug, denn wenn was schiefginge, wäre der Medienrummel einfach grauenhaft. Desgleichen brauchen wir einen Schädel mit dem richtigen Gebiß, den wir dabei liegenlassen können. Damit nun die Russen nicht anfangen, sich zu fragen, was der überzählige Kopf soll, muß die Leiche enthauptet werden. Und zwar an Ort und Stelle.«
»Aber wie kommt die Leiche an Ort und Stelle?« sagte der D.G. noch immer rätselnd.
»Die Leiche wird dort hinlaufen, hingebracht werden, hinfahren … Ich weiß noch nicht genau, wie.«
»Sie meinen lebendig?« Sir Henry war zutiefst schockiert. Sein Körper erstarrte, und er saß bolzengerade. »Was für eine Frau? Wie wird er das machen?«
»Fragen Sie lieber nicht, Henry«, sagte Silas Gaunt sanft. »Aber unter den Umständen werden Sie verstehen, daß wir keinen von unseren eigenen Leuten brauchen können.« Er wartete einen Augenblick, um dem D.G. Gelegenheit zu geben, seine Fassung wiederzugewinnen. »Bernard Samson wird dort sein, natürlich, aber der junge Samson soll nur seine Frau rausholen. Er wird von der anderen Sache nichts mitkriegen.«
»Wirklich nicht …?«
»Der amerikanische Nebenvertragspartner wird zurückbleiben und dafür sorgen, daß die Spuren die Geschichte erzählen, die wir den Sowjets unterjubeln wollen.«
»Und Sie werden mit dem Amerikaner direkt verhandeln?«
»Nein, Henry. Ich finde, das würde das Department unnötig kompromittieren. Ich werde einen Mittelsmann beauftragen. Es gibt da einen gewissen Prettyman, den Bret die Dreckarbeit machen läßt. Er war schon ein paarmal für uns tätig. Sehr tüchtig, wenn auch für die vorliegende Aufgabe nicht ganz der Richtige. Ich werde ihn als Kontaktmann verwenden. Niemand erfährt natürlich die ganze Geschichte. Absolut niemand.«
»Wenn Sie meinen, daß Sie’s alleine durchstehen können.«
»Ohne daß mir Bret Rensselaer dabei über die Schulter sieht?« Silas verzog das Gesicht. »Bisher haben wir’s geschafft.«
»Ich werde froh sein, wenn alles geschafft ist, Silas.«
»Natürlich werden Sie das, Henry. Aber wir beiden alten Klepper haben’s den jungen Bengels gezeigt, was?« Beide lächelten einander zufrieden an.
Es wurde an die Küchentür geklopft, und Mrs. Porter brachte ihnen Tee. Tee in Whitelands war, dank Mrs. Porter, sehr viel mehr als nur einfach Tee. Sie servierte auf dem kleinen Tisch des Hausherrn, und der D.G. stellte einen Stuhl für sich dazu. Es gab gebutterten Toast, Waffeln und Kümmelkuchen, wie ihn so perfekt nur Mrs. Porter backen konnte. Der Kuchen erinnerte den D.G. an seine Schulzeit. Er liebte ihn. Sie schenkte den Tee ein und ging wieder.
Ein paar Minuten lang tranken sie vergnügt ihren Tee und aßen ihren Toast wie zwei kleine Jungen bei einem Picknick. »Ich wüßte eigentlich gern die Wahrheit über Samsons Vater«, sagte der D.G. während Silas beiden Tee nachgoß. »Die wahre Geschichte, meine ich, von den beiden Deutschen, die er angeblich erschossen hat.«
»Na, das ist ja nun schon ein Weilchen her. Ich …«
»Jetzt kann die Wahrheit niemandem mehr schaden, Silas. Brian Samson ist tot, Gott sei seiner Seele gnädig, und Max Busby ebenfalls.«
Silas Gaunt zögerte. Er hatte so lange geschwiegen, daß er manche Einzelheiten schon vergessen hatte. Zuerst glaubte der D.G. er würde sich weigern, davon zu sprechen, aber schließlich sagte er: »Sie müssen sich die Atmosphäre jener Tage in Erinnerung rufen, als Hitler eben erst geschlagen worden war, Europa in Trümmern lag und jeder erwartete, daß plötzlich Nazi-›Werwölfe‹ aus irgendwelchen Löchern kriechen und erneut Krieg anfangen würden.«
»Die brauche ich mir nicht in Erinnerung zu rufen. Ich wünschte, ich könnte sie vergessen. Oder vielmehr, ich wünschte, ich wäre zu jung, damals dabeigewesen zu sein.«
»Die Amerikaner hatten keinen richtigen Nachrichtendienst. Ihre OSS-Leute verschwendeten ihre Zeit bei der Suche nach
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