Gelobtes Land: Meine Jahre in Stalins Sowjetunion (German Edition)
Anfang 1942 in die Arbeitsarmee eingezogen, wo er zunächst hungerte, schließlich aber Leiter eines Lokomotivdepots wurde – eine Funktion, die er noch immer bekleidet. Ludwig, der einmal Boxmeister von München war, ist sehr sportlich. In den wenigen Soswaer Sommermonaten unternehmen wir Ausflüge und Badetouren. Unsere Beziehungen werden noch enger, als er 1951 mit seiner Frau Nina eine Wohnung am rechten Soswa-Ufer erhält, wo zu dieser Zeit auch Taja und ich wohnen. Fast gleichzeitig werden unsere Söhne – Sascha und Shenja – geboren. 1958, zwei Jahre nach uns, gelingt es auch Ludwig und Nina, in die DDR überzusiedeln. Hier wird er Meister im Babelsberger Karl-Marx-Werk, wo Lokomotiven produziert werden. Bedauerlicherweise wird Ludwig aber zunehmend dogmatisch, verbietet seiner Familie das Westfernsehen oder beschimpft den auf der Mattscheibe erscheinenden Willy Brandt als «Kapitalistenknecht». Mit den Jahren kühlen unsere Beziehungen ab. Ludwig ist 1980 gestorben.
Hier muss ich ein paar Worte über meine flüchtigen Kontakte zu den Kriegsgefangenen einflechten. Die ersten Begegnungen mit den in der Regel ganz jungen Leuten ergeben sich, als Lieschen auf dem Gefangenenpunkt Koschai eingesetzt ist. Allerdings ist das beiderseitige Misstrauen groß, eigentlich unüberwindlich. Sie sehen mich, wenn ich sie deutsch anspreche, mit ungläubigen Augen an und verstehen nicht, wie ich in diese Einöde gelangt bin. Von Politemigranten haben sie noch nie etwas gehört – oder geben dies, da sie in vieler Hinsicht von ihren Offizieren abhängig sind, zumindest vor. Lieschen erzählt mir von den schüchternen Versuchen der Soldaten, ihr primitive Pornohefte zum Tausch anzubieten. Solche Hefte, die sie mir zeigt, scheinen in der Wehrmacht sehr verbreitet gewesen zu sein. Es ist das Einzige, womit diese armen Teufel jetzt noch Tauschhandel betreiben können.
Die ehemaligen Landser sind in der Regel nicht in Soswa, sondern an der Peripherie untergebracht. Dort beeindrucken sie die Einheimischen, weil sie – wiewohl zerlumpt – immer laut singend («Schwarzbraun ist die Haselnuss …») und streng in Reih und Glied zur Arbeit ausrücken. Einzeln wirken sie orientierungslos und deprimiert. Erinnerlich ist mir ein klirrend kalter Wintertag, an dem ich zu Fuß zur Tesma laufe und mitten in der Taiga auf eine Gruppe jämmerlich gekleideter ehemaliger Nazisoldaten stoße, die in einem Waldstück umherschleichen, das sie aufräumen sollen. Da ich jetzt schon ordentlich gekleidet bin (Filzstiefel, Halbpelz, Fellmütze) und fast wie ein Offizier aussehe, lädt mich der frierende Wachsoldat, natürlich vorschriftswidrig, ein, kurz an seinem Lagerfeuer Platz zu nehmen. Ich hole meinen Tabakbeutel heraus, drehe mir eine papirossa und biete auch dem Posten Papier und Tabak an. Als wir schweigend rauchen, nähert sich ein Gefangener dem Feuer und bittet mit scheuer Geste, ihm den Stummel zu überlassen. Ich schaue ihn an, entsinne mich, dass ich vor kurzer Zeit in ebendieser Verfassung war, reiche ihm Papier und Tabakbeutel und sage auf Deutsch: «Rauch dir eine an!» Er blickt mich entgeistert an, zieht dann den zusammengeflickten Handschuh aus und schabt mit blau gefrorenen Fingern eine Prise Tabak zusammen. Nun ist der Wachposten irritiert, zumal die übrigen Gestalten, als sie meine Freizügigkeit sehen, zögernd näher kommen und untereinander tuscheln: «Der kann Deutsch.»
Ich verteile noch Tabak für zwei oder drei Selbstgedrehte. So kommt eine Art Gespräch zustande. Meine Fragen über die gegenwärtigen Bedingungen in Deutschland können sie nicht beantworten. Dafür überhäufen sie mich, nach anfänglichem Zögern, mit Fragen. Die Landser, denen man einen leichten Krieg gegen das Untermenschentum versprochen hat, haben nicht die blasseste Ahnung über die Verhältnisse in der Sowjetunion. Vor allem wollen sie wissen, wo sie sich befinden. Da kann ich mich aber nur mit nichtssagenden Antworten aus der Affäre ziehen. Als einer direkt fragt, wohin denn dieser Weg führe, kommt mir der (sicher unbegründete) Verdacht, eine zutreffende Auskunft könne mir später als «Fluchthilfe» angekreidet werden, und ich antworte kurz: «Hier? Hier geht’s schnurstracks zum Nordpol.» Sie sehen mich verdutzt an. Dann werden sie von dem verunsicherten Posten auseinandergetrieben.
Die makaberste Episode mit den Kriegsgefangenen trägt sich 1955 – nach dem Adenauer-Besuch in Moskau – zu, als die «normalen» Gefangenen,
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