Gelobtes Land: Meine Jahre in Stalins Sowjetunion (German Edition)
für unsere Liebe und unsere Zukunft, waren auch die äußeren Umstände gegen uns. Wie sollten wir eine Wiederbegegnung bewerkstelligen? In Moskau hatte ich nicht die minimalsten Voraussetzungen, um Luta zu empfangen, und sei es nur zu Besuch, falls das überhaupt möglich war. Vollkommen abwegig war es, Luta zur Übersiedlung in die Sowjetunion zu überreden.
Und es kam noch schlimmer. Im Herbst 1935 machte mich Hilde Tal, die mehr als andere über die vor sich gehenden Verhaftungen und Verfolgungen wusste, darauf aufmerksam, dass eine regelmäßige Auslandskorrespondenz mir schaden könnte und dass es am besten sei, den Briefwechsel mit Palästina abzubrechen. Was sollte ich tun?
Dass es überhaupt möglich war, die Sowjetunion wieder zu verlassen, war mir zum ersten Mal bewusst geworden, als viele Schutzbündler, die 1934 gekommen waren, in die Heimat zurückfuhren. Wenn sie es fertigbrachten, in ein faschistisches oder halbfaschistisches Land zu gehen, so sagte ich mir nun, warum sollte ich da nicht den Mut aufbringen, nach Palästina zu gehen, wo viele Emigranten aus Nazideutschland, nicht nur Juden, Fuß gefasst hatten?
Hatte ich mich anfangs gescheut, solche Gedanken zu hegen, so änderte sich das, als mir eine gute Bekannte, eine Sowjetbürgerin, im Juli oder August 1935 sagte, dass sie überhaupt nicht verstünde, warum ich nicht zu meiner Freundin nach Tel Aviv führe. Kommunismus, Sozialismus – alles schön und gut, aber das Wichtigste für einen Menschen sei doch Freundschaft, Geborgenheit, Liebe.
Von diesem Tage an begann ich, Ausbruchspläne zu schmieden. Bis Odessa zu kommen war kein Problem. Die Überfahrt von dort nach Konstantinopel hoffte ich in Rubel bezahlen zu können. Ansonsten könnte ich mich als Schiffsjunge anheuern lassen. Für einen kurzen Aufenthalt in Konstantinopel besaß ich sogar noch 20 Mark, die ich ins Futter meines Notizbuches eingeklebt hatte. Alles Weitere würde sich finden – als blinder Passagier oder als Kohlenschipper, bis nach Haifa würde ich es irgendwie schaffen.
Hätte ich den Entschluss zur Ausreise aus der Sowjetunion zwei, drei Monate früher gefasst, wäre mein weiteres Leben wohl völlig anders verlaufen. Vielleicht wäre ich heute Professor in Südamerika, Farmer in Australien oder schon lange tot. Jedenfalls hätte ich bis etwa Juni, Juli 1935 mit meinem noch gültigen deutschen Reisepass ausreisen können. Im Herbst 1935 war der Pass jedoch abgelaufen, und ich besaß keine Papiere, die außerhalb der Sowjetunion anerkannt werden würden. Wollte ich mein Vorhaben wahr machen, musste ich, so bitter es war, als deutscher Antifaschist zur Nazi-Botschaft in Moskau gehen und die Verlängerung meines Passes beantragen.
Nachdem ich Luta geschrieben hatte, dass ich eine gewisse Zeit von Moskau abwesend sein und keine Post von ihr würde empfangen können, richtete ich meine Schritte eines Tages in die Leontjewski-Gasse, inzwischen Stanislawski-Straße, in der sich heute die DDR-Botschaft befindet. Meine Knie zitterten. Keiner meiner Bekannten durfte mich sehen, keinem der vor der Botschaft patrouillierenden NKWD-Zivilisten durfte es gelingen, mir zu folgen. Eine absurde Situation. Zwei Jahre zuvor hatte ich mich bemüht, nach Verlassen der Sowjet-Botschaft in Berlin mögliche Gestapo-Agenten abzuschütteln, jetzt wiederholte sich das Ganze in Moskau. Das bisschen Konspiration, das ich in Deutschland gelernt hatte, kam mir zugute.
Unkomplizierter als erwartet ging es anfangs auch in der Botschaft zu. Widerlich war, dass der Konsul, ein dicker, jovialer Herr, unter einem großen Hitler-Porträt saß. Aber es gab keinen Hitler-Gruß, keine politischen Fragen oder Belehrungen. Irritierend: In einem Glasschrank unter dem Hitler-Bild entdeckte ich Lenins Sämtliche Werke in der mir gut bekannten Berlin-Wien-Ausgabe. Ich stellte mich dumm und war darauf bedacht, nichts zu unterschreiben und nichts zu hinterlassen. Das verlangte man auch gar nicht von mir. Der Konsul hörte meine Lügen (dass es mir hier nicht so recht gefalle und dass ich nach Hause wolle) verständnisvoll an und stellte nur belanglose Fragen. Unvorhergesehenerweise forderte er mich jedoch auf, noch einmal zu kommen und Passfotos mitzubringen: Es müsse ein neuer Pass ausgestellt werden. Nun musste ich ein zweites Mal in die Leontjewski-Gasse und noch ein drittes Mal, um den Pass abzuholen.
Wie beim ersten Mal lief alles glatt. Dennoch erwies sich die ganze Aktion als Fehlschlag. In dem Pass, der
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