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Gelobtes Land: Meine Jahre in Stalins Sowjetunion (German Edition)

Gelobtes Land: Meine Jahre in Stalins Sowjetunion (German Edition)

Titel: Gelobtes Land: Meine Jahre in Stalins Sowjetunion (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eugen Ruge , Wolfgang Ruge
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nach liquidierte.
    Sepps Prognose erwies sich als zutreffend. Eines Tages fanden wir die Tür zu seinem Zimmer versiegelt. Stjopa resignierte endgültig und wollte niemanden mehr sehen. Ich verlor ihn aus den Augen. Später erfuhr ich, dass er die Schreckensjahre und den Krieg überstanden hat. Er starb 1964 etwa fünfzigjährig zu Hause in seinem Bett.

DAS LEBEN GEHT WEITER
    Selbst in den schlimmsten Zeiten ist der Alltag nicht kleinzukriegen. Man muss zur Arbeit gehen und hat Geldsorgen; Stiefel müssen besohlt und Socken gestopft werden, man kauft ein, kümmert sich um die Wäsche; man freut sich über gutes Wetter oder hat mit einer Verstopfung zu tun.
    Ende 1936 war ich mit fast allen ehemaligen KUNMS-Kollegen (die erst im Juni übernommen worden waren) aus dem MIFLI entlassen worden. Einige Wochen später fand ich Arbeit in der Geokartographischen Fabrik Nr.   2 und kam dann Ende 1936 – im Grunde freiberuflich – als Zeichner an der Historischen Fakultät der Moskauer Universität unter; bald besorgten mir auch Professoren, mit denen ich im MIFLI zusammengearbeitet hatte, wieder Aufträge. Obwohl – oder weil – ich nun kein festes Gehalt mehr bekam, sondern für jede fertiggestellte Wandkarte bezahlt wurde, verdiente ich plötzlich viel Geld – zwischen 150 und 250 Rubel die Woche.
    Ich arbeitete in einem alten, ziemlich baufälligen Gebäude der Istfak in der uliza Gerzena. Eine Tür führte in ein kleines Auditorium, in dem vorwiegend Sprachunterricht gegeben wurde. Wie seinerzeit in der KUNMS, nahm ich auch hier manchmal passiv an einer Lehrveranstaltung teil. Wenn die Studenten im Chor lateinische Verben konjugierten, brummte auch ich vor mich hin: laudo – laudas – laudat – laudamus …
    Als ich Jahrzehnte später Moskau besuchte, musste ich feststellen, dass es von den jüngeren Mitarbeitern, die ich gekannt hatte, vor allem solche zu Professuren brachten, die sich in den Enddreißigern wenig vornehm zu mir, dem Ausländer, verhalten hatten. Es gab aber auch Menschen, die sich trotz der rapide zunehmenden Ausländerfeindlichkeit anständig, sogar freundschaftlich zu mir verhielten. Zu ihnen gehören Alexander Dawidowitsch Epstein, Isaak Israilowitsch Podolski und Boris Sergejewitsch Kan (der übrigens als junger Kadett beim Sturm auf das Winterpalais auf der falschen Seite gestanden hatte). Es ist sicher kein Zufall, dass alle drei Juden waren: Menschen, die wussten, was Ausgrenzung und Verfolgung bedeutet, und die sich mir gegenüber, obwohl ich Nichtjude war, solidarisch zeigten.
    Am meisten engagierte sich Boris Sergejewitsch Kan für mich. Als ich aus dem MIFLI hinausgeworfen wurde und, da man als Deutscher neuerdings schwer eine feste Anstellung bekam, für kurze Zeit perspektivlos dastand, bot er mir sogar an, seinen elf- oder zwölfjährigen Sohn Sascha (Alexander) Kan in Deutsch zu unterrichten. Dieser hatte auf Anraten der Ärzte ein Jahr mit der Schule ausgesetzt. Sascha – heute selbst ein bekannter Historiker – war hochintelligent und lernte schnell. Besonders wichtig für mich war, dass die Kans mich nicht nur gut bezahlten, sondern mich auch am Mittagessen teilnehmen ließen. Ich wurde fast zu einem Familienmitglied.
    In meinem Privatleben ging es mit mir auf und ab. Besonders nach der Verhaftung meines Freundes Sepp rutschte ich von einem seelischen Tief ins nächste. Zwischendurch brachte mich ein unstillbarer Erlebnishunger zu den verrücktesten Begegnungen mit dem weiblichen Geschlecht. So besuchte ich beispielsweise mit einem alten Bekannten aus dem Ausländerklub mehrmals zwei polnische Emigrantinnen, Wanda und Jadwiga, deren Männer bereits verhaftet worden waren. Sie arbeiteten in einer Textilfabrik, und seit ihre Wohnungen vom NKWD versiegelt worden waren, wohnten sie auch dort – in einem winzigen Zimmer des Gemeinschaftswohnheims, in das wir uns auf Zehenspitzen einschleichen mussten. Dort, auf drei mal zwei Quadratmetern, suchten wir für Stunden unsere Verzweiflung zu vergessen – bis die beiden nach Mittelasien übersiedelten, um ein neues Leben zu beginnen.
    Irgendwann war es mit den Ausschweifungen und den ständig wechselnden Freundinnen zu Ende. Den Zeitpunkt meines Sinneswandels kann ich ziemlich genau datieren. Klar formulierte ich meine neuen Grundsätze während eines Gesprächs, bei dem auch über den Flieger Michail Gromow gesprochen wurde, der gerade, im Juli 1937, mit seinem Direktflug von Moskau bis in die USA berühmt geworden war. Dieses

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