Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gelobtes Land: Meine Jahre in Stalins Sowjetunion (German Edition)

Gelobtes Land: Meine Jahre in Stalins Sowjetunion (German Edition)

Titel: Gelobtes Land: Meine Jahre in Stalins Sowjetunion (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eugen Ruge , Wolfgang Ruge
Vom Netzwerk:
drei Stationären und der mit dem gebrochenen Fuß aufgeführt. Die Übrigen – auch ich – fehlen. Er beschimpft uns als Deserteure, Schädlinge, Saboteure. An meiner Pritsche bleibt er stehen und brüllt: «Na, Germanez, wolltest den Faschisten helfen! Aber dir werden wir’s zeigen! Und jetzt erst mal raus, den Waggon beladen!»
    Auch die anderen jagt er hinaus. Nur der ohne Schuhwerk muss nicht mit, und ein Wolgadeutscher flennt: «Ich bin krank! Mir ist alles scheißegal, und wenn Sie mich erschießen!»
    So sind wir nur zu viert. Während Bestushew noch mal zum Medpunkt rennt, können wir uns aus der Kantine rasch unser Brot holen. Zum Löffeln der Suppe bleibt keine Zeit mehr: «Vier Mann zur Strafarbeit an den Waggon auf dem Abstellgleis.»
    Da stehen wir also in Sturm und Regen, klitschnass schon nach zehn Minuten – vier schlotternde Gestalten auf der einen Seite, der Waggon auf der anderen. Geladen werden sollen Kiefernstämme, dicke Balken, die man nur zu zweit aufheben und tragen kann. Somit ergibt sich die Aufteilung von selbst – zwei kommen an den Stapel, zwei müssen schleppen.
    Mir ist klar: In den nächsten Stunden kommt keine neue Lok. Wenn ich nicht wieder zusammenbrechen will, muss ich mit den Kräften haushalten. Zu den drei Leutchen, die auch eher wie Strichmännchen aussehen, sage ich: «Jungs, wir machen das jawaschjawasch .» Dies ist ein aserbaidschanischer Ausdruck, der etwa besagt: Wir schieben ’ne ruhige Kugel. Bloß rumstehen dürfen wir nicht, dann gibt es Ärger.
    Tatsächlich schleicht Bestushew auf dem Holzplatz herum und beobachtet uns. Mittags – es hat inzwischen aufgehört zu regnen – erscheint sogar der Chef der Tscheka-Abteilung, Unterleutnant Pogodin, ein Mann mit ekelhaft scharf geschnittenem Profil und krächzender Stimme. Ohne uns eines Blickes zu würdigen, steigt er in den Wagen, guckt sich um und verschwindet.
    Der Tag zieht sich dahin. Kein Wort wird gesprochen. Wie Schatten schleichen wir hin und zurück. In regelmäßigen Abständen wechseln Heber und Träger. Langsam füllt sich der Wagen. Abends, als die Brigaden aus dem Walde kommen, haben wir schon etwas mehr als drei Viertel unseres Pensums geschafft. Nach weiteren zwei, drei Stunden binden wir die Stiege los und schieben die Waggontür zu.
    Die Köche sind noch in der Küche und schenken uns die Abendsuppe ein. Danach fällt es schwer, aufzustehen. Unsicher schwanke ich zur Baracke: hinlegen und schlafen. Doch der Barackenwart hat schon auf mich gewartet: «Sollst zum oper kommen!» Verflucht, dass die einen nicht in Ruhe lassen! Was will der von mir, ausgerechnet jetzt?! Ich schleppe mich ins Kontor, wo Pogodin in seinem kleinen Büro thront. Als ich bei ihm anklopfe, ertönte ein heiseres Gekläff. Vorsichtig öffne ich die Tür und trete ein. Der Unterleutnant sitzt hinter seinem Schreibtisch und fixiert mich böse. Er beugt sich leicht nach vorn und schiebt mir ein Blatt Papier über den Tisch: «Da, unterschreib!»
    Ich lese:
    «Akte
    Der Operativen Tscheka-Abteilung des Lagpunktes Bolschaja Kossolmanka ist es gelungen, eine Verschwörung aufzudecken, mit der die Verladearbeiten an der Bahnlinie Swerdlowsk – Serow systematisch sabotiert werden sollten, um auf diese Weise die Verteidigungskraft des Vaterlandes zu schwächen. Geleitet wurde die volksfeindliche Gruppe von dem Propagandisten der Baracke Nr.   4 des Lagpunktes, dem mobilisierten Deutschen Ruge, Wolfgang Erwinowitsch, Jahrgang 1917, gebürtig aus Berlin …»
    Die Buchstaben verschwimmen vor meinen Augen. Sabotage in Kriegszeiten! Darauf steht die Todesstrafe.
    «Das stimmt nicht», stoße ich hervor. «Es gibt gar keine Verschwörung. Ich war krank. Und ein Anstifter bin ich auch nicht … Das hier unterschreibe ich nicht.»
    Mein Gegenüber knurrt mich an: «So? Unterschreibst nicht? Na, dazu kriegen wir dich schon.» Damit zieht er das Papier wieder zu sich und sagt: «Kannst erst mal gehen.»
    Ich taumele hinaus. In meinem Hirn überschlagen sich Entsetzen und Angst. Soll nun wirklich alles zu Ende sein? So sinnlos sterben? So schnell? … Ich muss mit irgendjemandem sprechen, irgendjemandem sagen, was auf mich zukommt.
    Robert schläft schon, aber ich wecke ihn. Im ersten Moment ist er unzufrieden, doch als er begreift, um was es geht, wiegt er nachdenklich den Kopf. «Diese Schurken», presst er zwischen den Zähnen hervor. «Auf jeden Fall ist es richtig, dass du nicht unterschrieben hast. – Aber ob das hilft?»
    Diese

Weitere Kostenlose Bücher