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Gelobtes Land: Meine Jahre in Stalins Sowjetunion (German Edition)

Gelobtes Land: Meine Jahre in Stalins Sowjetunion (German Edition)

Titel: Gelobtes Land: Meine Jahre in Stalins Sowjetunion (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eugen Ruge , Wolfgang Ruge
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Holzfäller heute ausnahmsweise von ihrer machorka mitrauchen. Andächtig verfolgen wir, wie sie eine Zigarette drehen, sich bemühend, kein einziges Körnchen des wertvollen Krauts vom Winde fortwehen zu lassen. Als ich den speichelfeuchten Stummel an Robert weiterreiche, winkt er ab – er fühlt sich elend.
    Am nächsten Morgen hat er hohes Fieber. Ich werde mit einem anderen zusammengespannt, am nächsten Tag wieder mit einem anderen. Man reicht mich sozusagen herum – immer an miserable Leute, an solche, die nur 400 oder 500 Gramm Brot verdienen. Ich selbst bekomme ja nur 400 Gramm, weil es der bucklige Miller an jenem Sturmtag doch noch geschafft hat. Mehr als eine Woche arbeite ich mit einem ehemaligen Seemann zusammen. Er heißt Voigt und gehört glücklicherweise nicht zu denen, die ununterbrochen stöhnen. Manchmal erzählt er von seinen Fahrten.
    Robert liegt noch immer auf der Krankenstation. Dr.   Wagner sagt, sein Herz mache nicht mehr mit.
    Auch mit mir geht es abwärts. An einem schneeverhangenen Morgen im November werde ich mit zehn Kumpels auf den Lagpunkt Malaja Kossolmanka abgeschoben. Er gilt als Punkt für Todeskandidaten. Bestushew will offenbar die Leute loswerden, die sich nicht mehr zur Norm hochrappeln können.
    Auf der Malaja Kossolmanka geht es legerer zu. Die Leute werden zwar morgens und abends beim Passieren der Wachbude gezählt, doch das Ritual des Appells wird nicht mehr eingehalten. Auf den Ecktürmen sitzen keine Soldaten. Wohin sollen wir Kümmerlinge auch abhauen?
    Auf der Malaja Kossolmanka wird kein Nutzholz geschlagen – hier ist alles schon abgeholzt. Die Holzfäller, zu denen ich noch immer gehöre, sägen nur Brennholz – für den Eigenbedarf und für den Lagpunkt Shdanka, wo es ein paar Treibhäuser gibt und Teer gekocht wird. Abgerechnet wird hier relativ großzügig, sodass 95 Prozent auch mal für 100 durchgehen. Katastrophal ist dagegen, dass es auch bei voller Normerfüllung nur 500 Gramm Brot gibt.
    Mein neuer Partner heißt Funk. Er kommt aus Moskau, hat 1940 ein Institut absolviert und ein Jahr in einem Großbetrieb gearbeitet. Er ist nicht ganz so heruntergekommen wie ich, weil seine Freundin (er sagt: «meine Braut») ihm gelegentlich Pakete schickt. Manchmal gibt er mir eine Winzigkeit davon ab, eine kleine Plinse oder einen Zwieback. Das weiß ich zu schätzen, zumal Pakete für ihn immer seltener eintreffen. Bald bleiben sie ganz aus.
    Alsbald werde ich von einer neuen Plage heimgesucht, ich bekomme Furunkel. Besonders schmerzhaft ist eine Eiterbeule am rechten Fuß. Die Entzündung hat sich von der Sohle durch das Fleisch bis zum Spann gefressen. Die blonde Ärztin auf der Malaja Kossolmanka, Antonina Michailowna, diagnostiziert Phlegmone (womit ich aber nichts anfangen kann) und wäscht das Loch, das sich gebildet hat, mit einem in ätzende Flüssigkeit getauchten Stück Mull aus. Morgens und abends trotte ich zum Medpunkt, wo die Ärztin, eine Hand oberhalb des Fußes, eine unterhalb, den getränkten Lappen durch die Öffnung hin und her zieht, wie beim Reinigen eines Rohres. Dabei spricht sie mit mir: «Du musst aus dem Wald raus», sagt sie, «ich hatte, schon bevor du diese Phlegmone bekamst, versucht, dich in der Küche unterzubringen, doch das ging nicht.» Warum es nicht ging, sagt sie nicht, aber ich kenne das ewige Argument gegen mich – ich bin ein «Deutschländer».
    Wahrscheinlich habe ich es Antonina Michailowna zu verdanken, dass ich, als mein Fuß einigermaßen ausgeheilt ist, in den Kartoffelkeller zum Aussortieren fauler Kartoffeln abkommandiert werde. Wie in Kasachstan kommen die angeschimmelten in den Gemeinschaftskessel, die guten werden zurückbehalten, bis auch sie verfaulen. Im Keller ist es zwar düster, aber angenehm warm (draußen klirren die Dezemberfröste), und man kann sich trotz des wachsamen Auges des Brigadiers ab und zu mal eine am Hosenbein abgeriebene Kartoffel in den Mund stecken.
    Indes werde ich übermütig. Ich beobachte den Aufseher, der von Zeit zu Zeit ins Büro geht, und überschlage, dass es doch glücken müsste, einen günstigen Moment abzupassen und einen kleinen Sack mit Kartoffeln draußen im Schnee zu verstecken. Beim Abmarsch im Dunkeln würde man das Säckchen unbemerkt in die Zone werfen und abends mit Funk einen dicken Kartoffelbrei kochen. Der erste Teil dieses Planes geht zwar auf, aber dann erwischt mich der Lagerverwalter des Punktes. Als ich mich schon über meinen gelungenen Coup freue,

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