Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gelyncht - Gus Dury ; 2

Gelyncht - Gus Dury ; 2

Titel: Gelyncht - Gus Dury ; 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
Vom Netzwerk:
Ausverkauf.
    Als ich jünger war, kam ich immer hierher, um mich volllaufen zu lassen. Das ist eine nationale Manie: Knall dir mit Buckfast oder irgendeinem Billigbier die Birne weg, und dann lässt du dich ohne Punkt und Komma darüber aus, wie beschissen die Stadt ist, in der du lebst.
    Als ich älter wurde, brachte ich anständigen Stoff mit. Schottland hatte mal ein respektables eigenes Bier – Gillespie’s. Und was haben wir damit gemacht? Wir haben es aufgegeben. Haben ohne einen ersichtlichen Grund aufgehört, es zu brauen. Dieses Bier ist mit Guinness und Murphy’s Schlitten gefahren. Und wir haben’s weggeschmissen.
    Die Sache mit Schottland, die Wurzel allen Übels ist, dass wir eine besiegte Nation sind. Die Schotten sind die australischen Ureinwohner Europas. Wir sind die hiesigen nordamerikanischen Indianer.
    Früher wünschte ich mir immer, wir wären mehr wie die Iren. Die machten’s richtig. Gingen nie mit den Engländern ins Bett. Gaben nie klein bei. Man sagt, der Unterschied zwischen den Schotten und den Iren besteht darin, dass wir über all diese Scheiße jammern: darüber, dass wir die schlechtesten Gesundheitsstatistiken aller zivilisierten Länder der Welt haben, die höchsten Alkoholiker- und Selbstmordraten, darüber, das einzige Land zu sein, in dem Erdöl gefunden wurde und das dennoch immer ärmer wird … Wohingegen die Iren etwas unternehmen. Und gut gemacht! Ich meine, immerhin haben sie noch die Eier, für ihr Land zu kämpfen. Wir, wir haben unseres einfach abgetreten. Es verschenkt.
    Ich sah zu den Klippen und zum Schloss hinüber. Wir haben’s verschenkt. Wir haben alles verschenkt … einfach so, umsonst und gratis.
    Wenn ich heute hier heraufkomme, bin ich manchmal einfach nur baff angesichts der Schönheit der Stadt. So als ob meine Erinnerung daran, wie dieser Ort aussieht, weggesperrt wäre und ich sähe alles wieder zum allerersten Mal. Es fasziniert mich. All diese alten Türmchen und Spitzen, das Durcheinander der Old Town, Gebäude, die sich gegenseitig stützen; es kommt einem wie eine völlig andere Stadt vor.
    »Gott, das wäre nett«, murmelte ich.
    Debs und ich hatten unsere Flitterwochen in Paris verbracht. Ich zuckte zusammen bei der Erinnerung. Damals hatten wir keinen roten Heller mehr, aber nach der Hochzeitsfarce mussten wir einfach weg. Auf Kreditkarte. Vielendankvisa. Es war uns völlig schnuppe, wie lange wir brauchten, um das wieder abzustottern. Es war eine Flucht.
    Ich erwischte einen Sonnenstrahl, der vom Observatorium reflektiert wurde, blinzelte. Ich wusste, dass ich immer öfter in der Vergangenheit lebte. Ich wusste, warum das so war. Jahrestage schaffen das immer wieder. Ich wollte nicht an diesen speziellen Jahrestag denken. Wenn man einen dunklen Augenblick in der Vergangenheit besitzt, der einen verfolgt, dann schließt man das weg, besonders wenn die Vergangenheit so finster ist wie meine. Man versteckt sich davor.
    In letzter Zeit hatte ich viel von Fitzgerald gelesen. War nicht gerade ein Fan seiner Prosa, aber ich konnte mich mit seinem Zusammenbruch identifizieren. Vielleicht sogar mehr, als ich zugeben wollte. Ich hatte dies gelesen: »In einer wirklich dunklen Nacht der Seele ist es immer drei Uhr morgens, Tag für Tag.« Ich warf einen Blick auf meine Uhr: fast Mittag, aber ich wusste, genau wie Fitzgerald, dass es für mich immer drei Uhr morgens sein würde.
    Ich zog mein Handy heraus. Debs’ Nummer stand ganz oben in meinem Verzeichnis. Ich meinte, ich hätte das jetzt lange genug hinausgezögert. Drückte auf die Anruftaste.
    Es klingelte.
    »Hallo …«
    Wusste sofort, dass sie sich die Anrufernummer nicht angesehen hatte; oder schlimmer noch, sie hatte meine Nummer gelöscht.
    Leise sagte ich: »Hallo, Debs.«
    Schweigen.
    Sie legte nicht auf, dachte aber wahrscheinlich darüber nach. »Ich muss mit dir reden.« Vorsichtig.
    Ihre Stimme hatte das vertraute Timbre. Es war der Ton, mit dem eine Mutter zu ihrem Kind spricht, das sie wieder und wieder enttäuscht hat. »Gus … das ist keine gute Idee.«
    Sie erwischte mich unvorbereitet. Ich spürte ein Zucken meiner Augenlider. »Moment – ich dachte, das wolltest du. Du hast in dem Café gesagt, du wolltest mit mir über, du weißt schon, Dinge reden.«
    Sie hob ihre Stimme. »Das war aber, bevor die Polizei dich abgeführt hat.«
    Auf der Straße unten setzte das Pfeifen von Dudelsäcken ein. Eine Wolke schob sich vor die Sonne, und ein Schatten legte sich auf den Boden, wo

Weitere Kostenlose Bücher