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Gelyncht - Gus Dury ; 2

Gelyncht - Gus Dury ; 2

Titel: Gelyncht - Gus Dury ; 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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Mutter normalerweise sehr stolz war. Ich konnte mich noch gut erinnern, wie sie bei meinem letzten Besuch die Stufen geschrubbt hatte. Was zum Teufel war hier los?
    Ich klopfte an die Tür.
    Nichts.
    Klopfte wieder.
    Bewegung, Stimmen.
    Ich hob den Briefschlitz an. Das Haus sah aus wie eine heruntergekommene Absteige. Drei oder vier Paar dreckiger Turnschuhe lagen im Flur, ein Stapel Post und ein neues Branchentelefonbuch türmten sich auf dem Telefonregal.
    Ich rief hinein. »Hallo … hallo?«
    »Scheiße, wer ist da?«, hallte es zurück.
    Ich kannte die Stimme nicht. Männlich, jung.
    Ich ließ die Klappe fallen, trat einen Schritt zurück. Was zum Teufel war hier los? Das Haus ein Saustall, ein junger Bursche, der fluchte wie ein Soldat – im Haus meines Vaters gab es nur eine einzige Person, die so reden durfte.
    Ich trat von der Tür zurück. Mein Herz hämmerte wie verrückt. Ich war drauf und dran, die Milchglasscheibe einzutreten, besann mich dann aber eines Besseren. Ich schob mich an das Fenster zur Straße, linste durch einen Spalt in den schmutzigen, vergilbten Gardinen. Drinnen saßen zwei Jugendliche in Adidas-Trainingsanzügen und mit Baseballmützen auf der Couch, der eine von ihnen vornübergebeugt, damit beschäftigt, die Bong in seiner Hand anzuzünden. Ich traute meinen Augen nicht. Wer zum Teufel war das? Was zum Teufel war hier los?
    Ich lief zur Tür zurück. Ich war bereit, das Schloss abzutreten. Hatte schon meinen Stiefel gehoben, als ein Schlüssel gedreht wurde.
    Meine Mutter spähte durch einen hellen Schlitz heraus.
    »Mam?«
    Ein Aufschrei.
    Sie schloss die Tür schnell. Knallte sie mir vor die Nase.
    Ich klopfte gegen die Scheibe. »Mam, ich bin’s … Gus.«
    »Angus, geh weg.«
    Ich hörte laute Stimmen, die Jugendlichen, die bis auf die Straße hinausdrangen.
    Ich klopfte gegen die Tür. »Mam, was zum Teufel ist hier los?«
    Hinter mir tauchte eine Nachbarin an ihrem Gartentörchen auf, schleppte sich mit zwei prallgefüllten Reisetaschen ab. »Oh, Sie sind’s … Hoffentlich sind Sie da, um diese zwei kleinen Dreckskerle vor die Tür zu setzen.«
    Ich drehte mich um. »Was?«
    »Diese kleinen Scheißer haben nichts als Ärger gebracht, seit sie eingezogen sind. Schämen sollten Sie sich, dass Ihre Mutter so leben muss, jede zweite Nacht Drogendealer, Polizeiwagen. Es ist eine Schande!« Sie sah mich finster an, dann marschierte sie ins Haus.
    Ich kehrte zum Briefschlitz zurück.
    »Mam, mach jetzt diese Tür auf, andernfalls trete ich sie ein.«
    Wieder wurde der Schlüssel im Schloss gedreht. Als meine Mutter auftauchte, bekam ich den Schock meines Lebens – sie sah abgehärmt und blass aus, kurz vor einem Kollaps. Was mir aber das Herz zusammenschnürte, war ihre aufgeplatzte Lippe, eine Wunde, die aussah, als stammte sie von einem Schlag. Ich legte eine Hand an ihr Gesicht, und sie fing an zu weinen.
    »Mam, was ist hier los?«
    Zwei Halbstarke in Trainingsanzügen kamen auf den Flur, blieben hinter ihr stehen. Einer von ihnen hatte einen fetten Joint in der Hand, an dem er paffte, während er jedes meiner Worte aufmerksam verfolgte.
    »Mam, sind das hier Catherines Jungs?«
    Meine Mutter schluchzte, nickte.
    Ich sah die zwei an. Sie hatten die typischen rot unterlaufenen Kifferaugen.
    »Komm schon, Mam … ich bringe dich nach oben, dann legst du dich schön hin.«
    Sie war erschöpft, völlig fertig. Ich brachte sie ins Bett und versprach, ihr eine Tasse Tee zu machen, wenn sie sich erst mal etwas ausgeruht hätte.
    Sie lächelte mich an. »Sie waren so reizende Kerlchen … früher.«
    »Pssst, leg dich ruhig hin. Ich komme später wieder.«
    Ich schloss die Schlafzimmertür.
    Erst als ich wieder auf dem Flur stand, wurde mir klar, dass ich das letzte Mal dort drin gewesen war, um meinem Vater beim Sterben zuzusehen.
    Sollte ich auch nur einen Hauch von Sympathie für den Mann empfinden?
    Da war nichts.
    Langsam stieg ich die Treppe hinunter.
    Mein Herzschlag beruhigte sich. Schierer Zorn, weißglühende Wut machen das Herz nicht hektisch. Ich habe das schon viele Male zuvor empfunden, und immer wieder überraschte mich die methodische Ruhe und Gelassenheit, die dazugehörte.
    Am Fußende der Treppe zog ich meine Jacke aus.

L angsam öffnete ich die Wohnzimmertür. Drinnen plärrte eine Sitcom aus dem Fernseher. Ich schaltete die Kiste aus. Legte meine zusammengelegte Jacke auf den Stuhl neben dem Kaminsims.
    »Scheiße, Mann, ich hab mir das gerade angesehen«,

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