Gemischte Gefühle
dem Wohnzimmer und dem Haus, zwar froh, von diesem strap a ziösen Tableau Abschied nehmen zu können, aber mit einem Horror von der nun anstehenden, ungewissen Begegnung mit seinem unglückseligen Schwager.
Eine weitere Stunde später folgt euer aufs Schlimmste g e faßter Science Fiction-Autor einem Pfleger, der anscheinend an krankhafter Breitschultrigkeit leidet, durch die Korridore der Psychiatrie zur Geschlossenen Abteilung. Auf die wei t flächigen Fensterscheiben der Flure sind schwarze Silhoue t ten von Raubvögeln geklebt, um längst ausgestorbene Sin g vögel fernzuhalten. Wie um sicherzugehen, daß seine Äh n lichkeit mit einem Fleischergesellen nicht übersehen wird, trägt der Pfleger einen weißen Kittel. „ So, Sie sind Schrif t steller “ , sagt er unterwegs plötzlich, als wäre er gerade zum Eindruck gelangt, das sei eine in unbestimmbaren Zügen komische Tätigkeit. „ Von der Sorte hatten wir hier schon viele. “
„ Ein tragisches Geschick scheint oftmals den Schriftste l ler mit dem Wahnsinn zu vermählen “ , entgegnet euer auf unerklärliche Weise geschmeichelter Autor in druckreifer Fassung. „ Villiers de l ’ Isle-Adam zum Beispiel befand sich einmal in besonders bedrückender Armut, so daß er sich bei einem Irrenarzt verdingen mußte. “ Verlegener Seitenblick. „ So nannte man das früher. Jedenfalls, er sollte bei ihm den Geheilten spielen, um neue Patienten zu werben, aber leider beging Villiers den Fehler, im Wartezimmer au s s einer Tr a gödie Axel vorzulesen, und deshalb zweifelte jeder an seiner Genesung, so daß er seine Stellung wieder verlor. “ Als euer etwas voreiliger Autor einen Moment länger über die Äuß e rung des Pflegers nachgedacht hat, macht er hastig eine E r gänzung. „ Ich beabsichtige meinen Aufenthalt aber nicht auszudehnen. Ich bin nur zu einem Besuch hier, das wissen Sie doch noch, oder? “
„ Völlig klarer Fall. Aber was nicht ist, kann ja bekann t lich noch werden. “ Der Humor des Pflegers ist von der go l denen Art, die jedes Herz zum Hüpfen bringt. Er verharrt vor einer grauen Tür am Ende des Korridors und zückt einen Schlüsselbund. Beklommen sieht euer ruh - und friedloser Science Fiction-Autor ihm beim Aufsperren zu. Wer oder was mag ihn hinter dieser Tür erwarten? Zaches Tarnkapp auf der Höhe seines Ruhms? Ein Mann von einem anderen Planeten auf Filmexpedition? Ein mutiertes Pseudo-Faultier , das ihn mit einem Strahl aus seinen Stinkdrüsen unter den Menschen stinkmarken will? Knak, der hybernie r te Barbar, der ihm von Herzen gerne seinen verzauberten Morgenstern zwischen die Ohren knallen möchte? Eine strammärschige Blondine, deren schlafloser Nächte Traum Erfüllung fände, dürfte sie ihm die Künstlerhand küssen? Doch die kafkaske Welt von Befragungen und Beuge-Indikationen hinter der Tür kennt keine Besonderheiten. E r freulich: Die Fenster sind unvergittert; aber die Möbel alt, die Einrichtung ist kaum dem Zeitalter der Tütenlampen entwachsen, sauber aber schäbig, poliert aber verschlissen. Rechts sitzt in einem Gemeinschaftsraum ein Dutzend Patienten beiderlei G e schlechts herum: eine Vielfalt von Sch ä delmißbildungen und Behaarungsanomalien, Augenfehlstellungen und Sper r gebissen. Offene Münder, läppisches Gri n sen, verzweifeltes Grimassieren. Ein SW-Fernseher dröhnt ihnen, die ihm b e stenfalls geteilte Beachtung schenken, wie zum Hohne ger a de die Instrumentalversion von Fade Away and Radiale vor, die neue Pausen-Erkennungsmelodie des Vierten. Der Pfl e ger schließt die dicke Tür von innen ab. „ Einen Moment “ , sagt er. „ Setzen Sie sich ruhig solange hin. “
Aber euer hypernervöser Science Fiction-Autor hat kaum Gelegenheit, geschielt ein paar mißtrauische Blicke in die Runde zu werfen, da kommt der Pfleger bereits wieder – mit Günther im Schlepptau, der sich mit robotischer Eckigkeit bewegt, dessen Augen so stumpf sind wie schmutzige Kl o settfenster. „ Er hat schon einen Spitznamen bei unseren a n deren Freunden “ , berichtet mi t u nvermittelter Leutseligkeit der Pfleger. „ Sie nennen ihn Pastornoster . “
„ Günther! “
„ Sobald Sie wieder gehen möchten, kommen Sie nach Zimmer 10, dann schließe ich Ihnen auf. “ Der Pfleger trottet davon, beginnt in einigem Abstand zu pfeifen.
„ Günther! Was ist bloß mit dir? Wozu soll das alles gut sein, verdammt noch mal?! “
„ Im gewaltigen kosmischen Ringen spielen jetzt Tage keine Rolle mehr “ , erwidert
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