Gemischte Gefühle
leiblichen Schwester Vernunft eintrichtern. Günthers Psychose, so hat ihm wä h rend eines Gesprächs, auf dessen Zustandekommen euer bedauernswerter Science Fiction-Autor zweieinhalb Stunden lang warten mußte, der zuständige Psychiater der Klinik versichert, bedarf voraussichtlich, selbst wenn er demnächst entlassen werden können sollte, einer dauerhaften medik a mentösen Behandlung. „ Weißt du was?! Ihr könnt mich am Arsch lecken! Du mit deinem Gewäsch und dein Ehemann mit seiner Astroarchäologie samt den versunken Superkult u ren. “ Er strebt zum Ausgang, stampft rücksichtslos durch die Splitter von Scheiben und Geschirr. Bruchstücke von Po r zellan und Keramik knirschen unter seinen Schuhen, se i nen entschlossenen Schritten. „ Und erst recht deine verso f fene Mutter. “ Er schlägt die Haustür zu, die bloß noch an einer Angel hängt, und dem dumpfen Knall des Zuschlagens folgt gleich darauf das Krachen, mit dem sie vollends herau s bricht. Von neuem zerspringt Glas, klirrt Metall, aber er wendet sich nicht um, als er durch den Vorgarten zu seinem Auto stapft, die Fahrzeugschlüssel schon zwischen den Fi n gern, die Zähne zusammengebissen. Hinter ihm stürzen u n term Ansturm seiner Haßausstrahlungen alle Brücken ein.
Unauffällig ist der Nachmittag in den Spätnachmittag übe r gegangen, da erst kehrt euer nahezu zerrütteter Science Fi c tion-Autor wieder heim. Inzwischen hat es wolkenbruc h artig geregnet, und durch den frühen Feierabendverkehr war die Innenstadt völlig verstopft, so wie fast jeden Tag. Die streß-intensive Nachhausefahrt hat ihm moralisch den Rest geg e ben, und er sinnt nun auf nichts anderes als eine kräftige Mahlzeit, einen guten Schluck und einen ausgedehnten, g e sunden Schlaf. All das ist längst überfällig, er mußte de s sen entbehren, während er sich mit den Verrücktheiten and e rer Leute beschäftigte, die zufällig mehr oder weniger mit ihm verwandt sind. Heute will er sich nur noch Ruhe und Erh o lung gönnen.
Doch als er den kurzen Flur seiner Apartmentwohnung durchquert, ahnt er bereits anhand gewisser Anzeichen von Unordnung im Arbeitszimmer, zu dem die Tür offensteht, daß es dazu nich t k ommen soll. Welcher Anblick bietet sich ihm im Arbeitszimmer? Lauert ihm dort die entlaufene M u mie Ramses III. auf, die um die Welt irrt, um die sagenu m wobene Originalhandschrift des Necronomicons zu suchen, dem okkultkriminellen Schundwerk des wahnsinnigen Ar a bers Abdul Alhazred, dessen verschollene Nachrede allein ihr zur Erlösung verhelfen kann? Befindet sich ein Mann von einem anderen Planeten soeben dabei, ihm das Gehei m nis der Transmitterstrahlen ins Diktafon zu sprechen? Durchwühlt ein vom Verfassungsschutz bezahlter Achtgr o schenjunge seine Papiere, um auf höchsten Befehl die en t scheidenden Seiten des Manuskripts Geschaffen ganz aus Schweigen zu entwenden? Überrascht er einen Saboteur aus dem Science Fiction-Klub in flagranti crimine beim Insta l lieren einer Bombe? Erwartet ihn eine strammärschige Blondine, um sich endlich ihren kühnsten Wunschtraum zu erfüllen, nämlich ihm die Hand zu küssen? Nichts dergle i chen: Es hält sich kein Fremder im Apartment auf. Nur R e gen ist ins Arbeitszimmer eingedrungen, denn euer Science Fiction-Autor wollte arglos für ein Weilchen lüften, wä h rend er sich ankleidete, um seiner bedrängten leiblichen Schwester und deren bedrängten Ehemann zu Hilfe zu eilen, als er noch glaubte, sie bedränge etwas anderes als ihre e i genen Verrücktheiten. Leider vergaß er in seiner Beunruh i gung, wie sich jetzt herausstellt, das Fenster wieder zu schließen, ehe er sich auf den Weg machte, um sich als br ü derlicher Retter in der Not zu bewähren, und inzwischen ist die schönste Sauerei entstanden. Der Wind muß ganze R e genschleier ins Zimmer geschleudert haben; der Teppichb o den wölbt sich vor Nässe, die Schreibtischutensilien sind im ganzen Raum verstreut, Manuskriptseiten (darunter auch solche des noch nicht fertigen, aber für die Ewigkeit b e stimmten Werkes Geschaffen ganz aus Schweigen) liegen durchnäßt überall verteilt, kleben stellenweise an feuchtem Holz. Mit einem blasphemischen Fluch schließt euer auch noch derartig heimgesuchter Schriftsteller das Fenster, stemmt die Fäuste in die Hüften und schüttelt erbittert den Kopf. Anscheinend bleibt ihm nichts erspart. Doch halt! In einer nicht unerheblichen Beziehung ist ihm das Glück hold gewesen: Seine IBM-Kugelkopfmaschine
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