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Gemuender Blut

Gemuender Blut

Titel: Gemuender Blut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elke Pistor
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Ermittlungen einmische.« Wie ein Wasserfall sprudelten die Worte aus meiner Seele. Dann war ich leer und weinte.
    Steffen trat in den Lichtkegel der Außenleuchte und umarmte mich fest, ohne ein Wort zu sagen.
    Nach einer Weile ließ er mich wieder los, und ich betrat den Hausflur. Stumm folgte ich ihm die Treppe zu seiner Wohnung hinauf.
    Keine Geweihe. Keine ausgestopften Tiere an den Wänden. Kein röhrender Hirsch über dem Sofa. Stattdessen braunes Wildleder, quietschgrüne Farbe an der Wand dahinter und weiße Bücherregale. Viele Bücherregale. Mit Büchern und CDs. Doch ein Hirsch. Pink. Nur der Kopf. Er diente als Buchstütze. Gedämpftes Licht. Vor zwei Tagen hatte ich nicht darauf geachtet. Wir waren zu schnell im Schlafzimmer gelandet.
    »Ich weiß von dem falschen Alibi!« Meine Stimme klang, als ob sie mir nicht gehörte. »Es war ein großer Fehler von Olaf, und deswegen habe ich mich mit ihm gestritten.«
    Steffen nickte.
    »Ich weiß nicht, warum er das gemacht hat«, fuhr ich fort. »Du wärst spätestens morgen früh entlassen worden, oder Sauerbier hätte beim Staatsanwalt Anklageerhebung beantragen müssen.«
    »Das hatte er vor«, murmelte Steffen.
    Ich sah zu ihm auf. Eine Haarsträhne fiel ihm in die Stirn. Ich hob meine Hand und strich sie ihm aus dem Gesicht. Mitten in der Bewegung verharrte ich.
    »Hatte er Grund dazu?«
    »Nein.« Er hielt meinem Blick stand.
    »Warum also gibt mein Bruder dir ein Alibi?«, fragte ich, während ich mich von ihm abwandte und zu den Regalen ging. Tastend fuhr ich die Buchrücken entlang und musste unwillkürlich gegen die salzigen Spuren auf meinen Wangen anlächeln. Er hatte alle TKKG-Bände. Oder zumindest sah es so aus. Neben den Bänden über Forstpflege und Jagdtechniken wirkten sie wie Relikte aus einer lange vergangenen Zeit.
    »Er wollte mir helfen.«
    »Sagt wer?«
    »Olaf.«
    »Du hast mit ihm gesprochen?«
    »Wir haben telefoniert.« Steffen hatte sich auf das Sofa fallen lassen und bedeckte seine Augen mit einem Arm.
    »Was hast du denn tatsächlich in der Zeit gemacht, nachdem ich gegangen bin und du auf das Fest zurückgekehrt bist?«
    »Nachgedacht.«
    »Allein?«
    Keine Antwort.
    »Allein, Steffen?« Lauter.
    »Ja, was denkst du denn, Ina? Meinst du etwa, kaum dass die eine Frau verschwunden wäre, läge schon die nächste in meinem Bett?« Er sprang auf.
    »Dann hättest du wenigstens eine Zeugin!«
    Steffen runzelte die Stirn und sah mich an.
    »Ich habe Prutschik nicht umgebracht. Das ist das eine.«
    »Und das andere?«
    »Ich schlafe nur mit Frauen, die ich mag.«
    »Wie schön.«
    Er zuckte zurück, als ob ich ihn geschlagen hätte.
    Ich spürte, wie mein Mund trocken wurde.
    »Entschuldigung.« Ich nahm tief Luft. »Ich habe mich umgehört.«
    Steffen ging in die Küche, kam mit einer Flasche Wasser und zwei Gläsern zurück und goss uns beiden ein.
    »Du glaubst mir also?«
    In der Stille, die entstand, hörte ich die Kohlensäurebläschen in meinem Wasserglas platzen. Ich schwenkte die klare Flüssigkeit im Glas umher und setzte es schließlich an die Lippen, ohne zu trinken.
    »Sauerbier hat das nicht gefallen. Ganz und gar nicht, er hat mir mit einer Anzeige gedroht.«
    »Was hast du gemacht?«
    Ich schwieg und drehte das Glas in meiner Hand. Wasser schwappte über den Rand auf den Boden.
    »Versucht, mir einen Überblick zu verschaffen.«
    »Und?«
    Ich zögerte. Sollte ich ihm alles …?
    »Es ist noch zu früh, um Rückschlüsse zu ziehen«, zog ich mich aus der Affäre und stellte mein Glas auf den Tisch.
    »Möchtest du etwas anderes?«
    Steffen ging wieder in die Küche. Das Licht des Kühlschranks schlug eine Schneise durch den dunklen Raum bis zu mir. Ich folgte dem Weg über die Fliesen und stellte mich dicht hinter ihn. Er wandte sich nicht um. Einen Arm auf die Kühlschranktür gestützt, starrte er seine Vorräte an, als ob sie ihm die Antworten auf die Fragen geben könnten, die wir beide noch nicht gestellt hatten.
    Wollte ich etwas anderes? Ich hörte ihn atmen. Ruhig. Erwartungsvoll? Mein Blick glitt über seine Haare, sein Gesicht, seinen Mund. Für einen Moment schloss ich die Augen. Er roch gut. Nach Duschgel. Nach ihm selbst. Nach einer Umarmung.
    »Gib mir ein Glas von dem da!«
    Ich riss mich aus meinen Gedanken, ging um ihn herum und bückte mich nach der Flasche in der hintersten Ecke. Eine klare gelbe Flüssigkeit schwappte hin und her. Das Etikett und die Konsistenz ließen an Hustensaft denken, aber ich

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