Gemuender Blut
Rolle der großen Schwester und er als kleiner Bruder. Gerade aber funktionierte gar nichts, denn Matthias öffnete nicht.
»Er ist nicht da, Ina, sonst wäre er schon lange an der Tür erschienen.« Steffen stand einige Schritte von der Haustür entfernt zwischen Gartentor und Eingangsstufen.
»Vielleicht hat er die Klingel nicht gehört!« Ich presste den Daumen auf den kleinen Bronzeknopf in der Hauswand und drückte meine Nase an die Facettenscheibe.
»Selbst die Nachbarin hat dein Klingelfeuer mitbekommen und nachgesehen, was los ist. Er ist nicht da. Sieh es ein.«
»Die schaut immer, was los ist. Das ist hier nicht anders als in Gemünd.«
»Und ich dachte immer, die Großstadt wäre so anonym?« Steffen grinste.
»Die Großstadt ja. Köln nicht. Und Rondorf erst recht nicht. Das ist hier wie auf dem Dorf. Jeder kennt jeden. Jeder weiß über jeden Bescheid.« Ich gab auf, sprang die beiden Stufen hinunter und ging zu Steffen. »Deswegen komme ich ja auch so gut klar hier.«
»Leg ihm doch einen Zettel hin, dass du da bist, dann kann er dich anrufen.«
»Mein Handy befindet sich aber immer noch auf Frau Rostlers Küchentisch. Wenn sie es nicht mittlerweile für eine Wanze oder so was gehalten und entsorgt hat.«
»Dann schreib ihm halt meine Nummer auf.« Steffen hielt sein Handy hoch und drehte das Display so, dass ich es lesen konnte.
Ich nickte, suchte und fand ein kleines Stück Papier in meiner Handtasche, auf das ich Steffens Nummer notierte. Vorwahl und dann »36377837«.
»Es ist schrecklich – ich kann mir diese Nummern nie merken. Die Vorwahl geht ja noch. Ist wie meine eigene, aber der Rest!«
»Förster mit ›oe‹«, sagte Steffen.
Ich sah ihn verwundert an.
»Meine Nummer. Förster mit ›oe‹. Auf den Telefonen sind unter den Zahlen Buchstaben. Schreib ›Foerster‹ und du hast meine Nummer.«
»Schön – so geht’s.«
»Auch mit ›oe‹«
»Was?«
»Schön.«
»Blödmann.«
»Auch mit …«
Ich küsste ihn mitten in Mattes’ Vorgarten und winkte dann fröhlich der Nachbarin hinter ihrer Gardine zu.
Der mannshohe Bauzaun versperrte nicht nur den Blick, sondern auch den Zugang zum Travestietheater. Zwischen halb zerfledderten Werbeplakaten für Bands, die schon seit zwei Wochen wieder von den Kölner Bühnen verschwunden waren, Katzensuchanzeigen und den üblichen »Baustelle betreten verboten«- Schildern hing ein Hinweis des Theaters zu den Öffnungszeiten.
»Jonas Prutschik hat mich belogen!«, sagte ich und zeigte auf den kleinen, rot gedruckten Satz unter den Zahlenkolonnen. »Hier steht, dass das Theater seit drei Wochen geschlossen ist und sie sich freuen, uns nächsten Monat nach dem Umbau wieder begrüßen zu dürfen.«
»Vielleicht treten sie woanders auf?«
»Dann stünde das hier. Nein. Prutschik junior lügt.« Ich kratzte vorsichtig an einer Ecke des festgeklebten Hinweisschildes. Das Papier löste sich, und ich riss es vollständig ab. »Die Telefonnummer! Da werde ich mal nachfragen!«
»Gibt es denn hier nur dieses eine Theater mit Travestie?«
»In der Altstadt gibt es noch eines.«
»Auf geht’s, Frau Kommissarin. Du hattest mir Köln bei Nacht versprochen.«
»Aber nicht dieses Köln.« Ich faltete den Zettel zusammen und steckte ihn in meine Handtasche. »Wir werden trotzdem nachfragen, ob sie Jonas dort kennen.«
»Was hast du gegen ›dieses‹ Köln?« Steffen wies auf den Theatereingang hinter sich.
»Nichts!« Ich stapfte los. »Ich habe nichts gegen ›dieses‹ Köln. Aber für mich sind es andere Dinge, die es ausmachen.«
»Was zum Beispiel?«
»Wart’s ab.« Ich ging einfach weiter.
Steffen war mir gefolgt, aber jetzt blieb er stehen. »Halt, Ina.«
Ich stoppte ebenfalls, drehte mich zu ihm um und verschränkte die Arme.
»Du bittest mich, mit nach Köln zu kommen, weil du Verdächtige überprüfen, deinen Kollegen besuchen und dir im Anschluss einen netten Abend machen willst. Ich zerreiße meine Theaterkarten, werfe meine eigenen Pläne über den Haufen und mache alles mit, weil deine Aktivitäten ja dazu dienen, meine Unschuld zu beweisen. So weit, so gut. Aber, Ina …« Er kam auf mich zu und stellte sich dicht vor mich. »Ich bin kein Hündchen, das folgsam hinter dir hertrabt.«
Die Schärfe in seiner Stimme war nicht zu überhören. Vielleicht war es doch keine so gute Idee gewesen, ihn mit hierhin zu nehmen.
»Du hast recht, Steffen.« Der Klang meiner Stimme überraschte mich selbst. Ich hörte mich an wie in
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