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Gemuender Blut

Gemuender Blut

Titel: Gemuender Blut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elke Pistor
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einer Lagebesprechung im Präsidium. Sachlich. Nüchtern. Kalt. »Eine Vermischung von Dienstlichem und Privatem ist keine Option. Wenn du möchtest, bringe ich dich zum Bahnhof. Dann kannst du nach Gemünd zurückfahren. Deine Karte ersetze ich dir selbstverständlich. Ich werde Jonas Prutschiks Alibi überprüfen und morgen früh in die Eifel fahren.«
    Steffen stand immer noch dicht vor mir. Ich starrte in Rippenhöhe auf seine Hemdbrust. Ich wollte ihm nicht in die Augen sehen. Eine Weile rührte sich keiner von uns beiden. Dann öffnete er seine Arme, zog mich zu sich und legte sein Kinn auf meinen Scheitel.
    »Hör mal, Kommissarin. Was ich wollte, war ein bisschen Information über das, was du mit mir vorhast. Nicht mehr und nicht weniger.«
    »Und ich wollte dich überraschen, Oberförster. Nicht mehr und nicht weniger.«
    Wir standen immer noch und bewegten uns nicht.
    »In Ordnung«, sagte Steffen.
    »In Ordnung«, sagte ich. Trotzdem wurde ich das Gefühl nicht los, dass wir uns gerade von »in Ordnung« ein ganzes Stück wegbewegt hatten.
    »Nette Kollegin! Habe ich auch schon mal auf der Bühne gesehen, aber hier bei uns arbeitet die nicht. Und ich weiß nicht, wo Sie sie finden könnten.« In ihrem Kassenhäuschen schüttelte die Dame, die ebenfalls ein Herr war, den Kopf, als ich ihr ein Foto von Jonas Prutschik unter die gepuderte Nase hielt.
    Bevor wir nach Köln aufgebrochen waren, hatte ich mir noch schnell die Ausdrucke eingesteckt, die ich mir aus dem Internet gezogen hatte.
    »Das tut mir sehr leid«, sagte sie mit einem Bedauern in der tiefen Stimme, von dem ich nicht sagen konnte, ob es sich auf ihr Nichtwissen oder auf die Tatsache bezog, dass Jonas nicht in ihrem Hause auftrat.
    »Danke«, nickte ich ihr zu und ging wieder zu Steffen, der an den Schaukästen des Theaters stehen geblieben und in deren Betrachtung versunken war.
    »Und?« Er riss sich los und sah mich an.
    »Kein Auftritt von Jonas auf den Brettern dieses ehrenwerten Hauses.«
    Ich schmunzelte, als ich sah, wie er den Kopf schief legte und angestrengt auf ein Foto starrte, auf dem einer der Herren in sehr knapper Bekleidung seine beneidenswert langen Beine schwenkte. Ich schnippte mit den Fingern vor seinem Gesicht, aber er ließ sich nicht stören.
    »Man sieht es nicht«, murmelte er und ging zum nächsten Bild.
    »Komm, du Landei.« Ich ging zum Ausgang und öffnete die Tür. »Ich verspreche dir, dass wir irgendwann in eine Vorstellung gehen werden. Aber nicht heute.«
    Nach einem letzten Blick auf die Fotos riss er sich los und folgte mir auf die Straße.
    »Wie lange brauchen wir zur Wohnung von Jonas Prutschik?«
    Ich zog eine Augenbraue hoch und sah ihn von unten herauf an.
    »Du wolltest doch sein Alibi überprüfen, oder nicht?«
    »Ich dachte, du …«
    »Dann los«, unterbrach er mich und ging los.
    * * *
    Es war, als säße sie in einem kalten, dunklen Nichts. Ohne Zeit. Ohne einen Anfang und ohne ein Ende. Der Raum hatte sich verändert, seine Grenzen verschoben. Sie hörte ihr eigenes Wimmern. Leise. Heiser. Sie hatte aufgehört, nach ihm zu rufen. Ihre Kehle tat weh vom Schreien und vom Weinen. Es half nicht. Er würde nicht kommen. Sie war allein.
    »Wenn du es anders nicht begreifst, dann eben so!«, hatte Papa gebrüllt, sie an den Armen in den Keller gezerrt und in den leeren Raum geworfen.
    Draußen war Sommer.
    Sie fror. Bestimmt war es ihre eigene Schuld, dass er sie eingesperrt hatte. Sie versuchte zu verstehen, was sie falsch gemacht hatte. Sie hatte etwas zu der Frau gesagt, und die Frau hatte sich aufgeregt, und als Papa abends nach Hause kam, hatte die Frau mit ihm gesprochen. Nein, nicht gesprochen hatte sie, sie hatte geschrien. Ganz lange und laut. Papa hatte zuerst nichts gesagt und dann auch geschrien. Mit ihr. Sie aus ihrem Zimmer gezerrt, wo sie hinter der Jalousie den Sommer beobachtet hatte. Die Treppe hinunter, durch den Gang in den Abstellraum.
    Die Stelle an ihrem Arm, wo sich Papas Finger festgekrallt hatten, brannte. Sie würde lange Ärmel anziehen müssen, damit die anderen die blauen Flecken nicht sahen.
    Es roch nach Öl. Und nach Heu. Der Rasenmäher hielt hier seinen Winterschlaf.
    Sie war allein, hockte an der Wand und umklammerte ihre Knie. Starrte in die Dunkelheit, die keine Schatten warf.
    Es war so still.
    Papa hatte sie allein gelassen.
    Sie schloss die Augen.
    »Ich bin nicht hier«, murmelte sie, »das bin ich nicht. Ich bin in meinem Zimmer, in meinem Bett und schlafe.

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