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Gemuender Blut

Gemuender Blut

Titel: Gemuender Blut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elke Pistor
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Spurensicherung anleiern. Sauerbier würde begeistert sein, von mir zu hören. Ich richtete mich auf und wollte gerade zu meinem Auto gehen, als es mir einfiel. Sauerbier hatte mich vorgeladen. Zur Zeugenaussage. Für gestern Morgen! Und ich war nicht erschienen. Hatte ihn völlig vergessen.
    Ein Kreislaufzusammenbruch und vereiterte Wunden an beiden Beinen waren vielleicht eine Entschuldigung. Aber nur vielleicht. Bei Sauerbier war ich mir da nicht so sicher. Mein Handy. Ich musste ihn sofort anrufen und ihm die Sache erklären.
    Ich riss die Wagentür auf und klappte den Fahrersitz nach vorne. Meine Handtasche lag auf dem Rücksitz. Ich kippte den gesamten Inhalt auf die Polster und wischte mit den Händen darüber. Kalender, Brillenetuis, meine aktuelle Lektüre über den »Vampir von Melaten«, eine Broschüre der VHS, aber kein Handy.
    »Also doch die direkte Gegenüberstellung!«, sagte ich zu mir selbst, rastete den Sitz wieder ein und ließ mich darauf fallen.
    Es dauerte eine Weile, bis ich den Zündschlüssel umdrehen und losfahren konnte. »Er wird dich festnehmen, Ina. Und weißt du was?« Schneller Blick in die Augen im Rückspiegel. »Er ist absolut im Recht.«
    »Ich werde Sie jetzt festnehmen, Frau Weinz. Und wissen Sie was? Ich bin absolut im Recht!«
    Sauerbiers schwarz gepunktete Krawatte baumelte locker unter seinem weißen Kragen hervor. Der oberste Knopf des Hemdes stand offen, und die unter der grau melierten Weste hervorquellenden Brusthaare zerstörten jeglichen Anschein von Seriosität. »Ich hatte Sie gewarnt, sich nicht mehr einzumischen. Ich hatte Sie vorgeladen. Und was machen Sie?«
    Er schlug die Tür hinter mir zu, durch die ich vor einigen Sekunden sein Büro betreten hatte, stampfte zum Fenster und verschränkte die Arme. »Sie rennen durch die Gegend, stellen Fragen und erscheinen einfach nicht!« Er lachte ungläubig. »Eine Ina Weinz hat es wohl nicht nötig?« Er fuhr herum, legte die kurze Strecke zwischen uns in einem erstaunlichen Tempo zurück und blieb dicht vor mir stehen. Ich konnte sein Rasierwasser riechen. Seine Augenbrauen tanzten wie kleine Mäuse auf seiner Stirn. »Sie können froh sein, dass ich Sie nicht habe abholen lassen!«
    »Herr Sauerbier, …«, versuchte ich seine Schimpftirade zu stoppen, »ich …«
    »Jetzt kommen Sie mir bloß nicht mit Ausreden.«
    »Ich war im Krankenhaus.«
    »Ja und? Nur weil Sie ihren Vater besuchen wollten, haben Sie die Vorladung vergessen?«
    »Nein. Ich war im Krankenhaus. Als Patientin. Nicht als Besucherin.«
    »Was hatten Sie, zeitweise Verwirrung oder eskalierende Impertinenz?«
    »Kreislaufkollaps und fast eine Blutvergiftung.«
    Sauerbier trat endlich einen Schritt zurück. Der Duft nach Pitralon ließ nach.
    »Können Sie das nachweisen? Haben Sie ein Attest?«
    »Nein, aber …«
    »Und dann soll ich Ihnen das einfach so glauben, Frau Weinz? Einfach so?«
    Ich ging zu seinem Besucherstuhl, zog ihn zu mir heran und setzte mich darauf.
    »Wir können jetzt gemeinsam im Mechernicher Krankenhaus anrufen und nachfragen. Dr. Thomas Breitenbach – mein behandelnder Arzt – wird meine Aussage sicher gerne bestätigen.« Ich wühlte in meiner Handtasche und suchte den Zettel mit Thomas’ Telefonnummern. »Hier, bitte.«
    Er rupfte mir das Papier aus der Hand, ging um den Schreibtisch herum und tippte die Nummer in sein Telefon. Während er den Hörer ans Ohr hielt und dem Freizeichen lauschte, musterte er mich von oben bis unten. Als sich jemand meldete, bellte er seine Fragen in den Hörer, runzelte die Stirn, nickte und legte wieder auf.
    »Gut«, murmelte er und setzte sich mir gegenüber. Im Gegenlicht des Fensters bildete sich ein Kranz aus Sonnenstrahlen um seinen Körper. Ich blinzelte und rückte meinen Sessel ein Stück zur Seite.
    »Stört Sie das Licht?«, fragte er übertrieben freundlich. Mir ging auf, dass es seine Absicht gewesen war, mich zu blenden.
    Ich reagierte nicht, sondern ging zum Gegenangriff über. »Wussten Sie von Prutschiks Geliebter in den Achtzigern?«
    Sauerbier rückte auf die Kante seines Stuhls vor, verschränkte die Arme über dem Bauch und räusperte sich. Ich hatte ihn. Er wusste nichts von Maria Henk. Ich beschloss, ihn eine Weile zappeln zu lassen, und verstummte.
    Sauerbier zog eine Schreibtischschublade auf, lehnte sich wieder zurück und drehte seinen Stuhl. Dann stellte er beide Füße auf die Schublade. Ich bin ganz locker, sollte mir diese Körperhaltung wohl mitteilen, aber

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