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Gemuender Blut

Gemuender Blut

Titel: Gemuender Blut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elke Pistor
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die Wirbelsäule, den Schädelknochen. So dünn. So klein. Und so kalt. Es atmete nicht mehr, war ganz steif. Es lag vor der Gartenmauer. Ein dünnes Rinnsal Blut lief aus der Nase des Tiers. Die blauen Augen mit einem milchigen Schleier überzogen.
    Sie wollte so gerne weinen.
    »Jetzt wirf das Vieh auf den Komposthaufen und komm schon.« Papa wartete auf sie. Im schwarzen Anzug bereit für den Kirchgang.
    Sie hatte es gefunden vor drei Tagen. Es war so klein. Und so allein. Wie sie. Keine Mama. Sie wollte es füttern und wärmen und lieb haben. Hatte es gestreichelt und auf sein leises Atmen gelauscht, wenn es sich unter ihrer Decke an sie geschmiegt hatte.
    Die Frau wollte keine Tiere, das wusste sie. Keine Tiere, keinen Dreck.
    Sie hatte es versteckt vor der Frau, heimlich die Milch und die Wurst aus dem Kühlschrank genommen. Nachts, wenn sie dachte, die Frau würde schlafen. Aber sie hatte sie trotzdem entdeckt. Hatte getobt. Geschrien.
    Sie wusste, dass es keinen Sinn hatte, sich gegen die Frau zu wehren, und so hatte sie nur stumm dagestanden und dem Kätzchen hinterhergesehen, als Papa es nach draußen brachte, an die Gartenmauer.
    Sie wollte so gerne weinen.
    Ihre Kiefer schmerzten. Ihre Kehle brannte. Sie zitterte. Sie hatte das Gefühl, dass ihre Seele schrumpfen und ein Loch in ihrer Brust hinterlassen würde. Sie streifte ihre Strickjacke ab, bettete das Kätzchen hinein und trug es behutsam in eine andere Ecke des Gartens, da, wo die Erde weich und warm war. Sie kniete nieder und begann, mit den Händen ein Loch in die Erde zu graben. Dicke Klumpen braunen Lehms hingen an ihren Fingernägeln, zogen Schlieren über ihr helles Kleid und färbten es dunkel. Als ihr das Loch tief genug erschien, senkte sie das tote Kätzchen hinein, bedeckte es mit dem Stoff ihrer Jacke und schob die feuchte Erde darüber.
    Sie stand auf, ging zu dem Rosenbeet hinüber und knickte eine große Blüte ab. Dornen bohrten sich tief in ihre Haut, der Schmerz trieb ihr die Tränen in die Augen, und endlich weinte sie.
    * * *
    Meine Stimmung befand sich auf dem definitiven Nullpunkt. Warum hatte Olaf die Klage Prutschiks gegen ihn mit keinem Wort erwähnt? Vertraute er mir nicht? Wenn er unschuldig war, warum bat er mich dann nicht, es für ihn zu beweisen? Um seinen Freund Steffen von dem Verdacht zu befreien, hatte er alle Hebel in Bewegung gesetzt.
    Er glaubte fest an Steffens Unschuld. Weil er wusste, wer der Schuldige war?
    Weil er wusste, was in der Nacht zu Montag passiert war, nachdem Steffen und ich das Fest verlassen hatten? War mein Bruder Prutschik gefolgt und hatte ihn umgebracht? Oder war er ihm nur zufällig begegnet und hatte die Gelegenheit beim Schopf gepackt, sich des lästigen Klägers zu entledigen?
    Ich versuchte mich zu erinnern. Prutschik hatte den Festsaal verlassen, wir drei redeten noch für eine Weile. Dann verschwanden Steffen und ich. Olaf blieb. Nach seiner Schilderung des Abends hatte er dann Michelle kennengelernt. Ich seufzte. Sie würde sagen können, wie lange Olaf auf dem Fest geblieben war. Ein kleiner Hoffnungsschimmer erhellte meine Stimmung. Vielleicht war es doch nicht so schlimm, wie ich befürchtete.
    Die Schranke des Krankenhausparkhauses öffnete sich lautlos und ließ mich und den Käfer hinein. Zu meinem Erstaunen fand ich nah am Ausgang einen freien Platz, direkt neben der Auffahrrampe. Der Motor verstummte. Ich saß wie festgeklebt auf dem Sitz und starrte mir selbst im Rückspiegel entgegen. Ich hätte schwören können, dass mindestens drei Falten mehr um meine Augen turnten als noch vor ein paar Tagen.
    »Dass ist derr Wuahrheit, Baby«, knödelte ich und klappte mit Schwung den Spiegel weg. »Derr Wuahrheit« konnte auch mal warten. Sie würde auch morgen noch da sein. Und übermorgen. Leider.
    »Tolain.« Thomas kramte einen dicken roten Wälzer hervor, dessen hellgelbe dünne Blätter bei jeder Berührung knisterten. Aber auch der Wälzer hatte keine neueren Erkenntnisse zu bieten als die, die ich schon von der Apothekerin mitgeteilt bekommen hatte. »Hier: Anwendungsgebiet – Schizophrenie, reduziert Wahnvorstellungen …« Er murmelte unverständliche Dinge vor sich hin, während er mit dem Finger an den Zeilen entlangglitt. »Hochpotentes atypisches Neuroleptikum, geringere Nebenwirkungen.« Er nickte, dann sah er mich an. Ich stand vor der Behandlungsliege, die er zum Schreibtisch umfunktioniert hatte, und versuchte, seinen Aussagen zu folgen.
    »Und du bist sicher,

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