Gemuender Blut
hör mir zu. Ich bin immer noch nicht fertig mit dem, was ich dir zu sagen habe.«
Mehr noch als seine Worte machte mir seine Miene den Ernst dessen klar, was er mir nun eröffnete:
»Es gibt noch jemanden mit einem möglichen Motiv.«
Ich versuchte, ruhig zu bleiben und ihn nicht zu unterbrechen.
»Prutschik hat ein Gutachten geschrieben zum Bau der neuen Brücke über der Urft im Nationalparkgebiet.« Mattes seufzte. »Das stieß nicht überall auf Gegenliebe.«
Steffen nickte. »Der BUND und einige andere Naturschutzverbände sehen die Brücke als technisches Bauwerk im Naturschutzgebiet sehr kritisch. Sie überlegen sogar, der Eröffnungsfeier Ende September fernzubleiben.«
»Das kratzte Prutschik wohl nicht so sehr. Aber die Leserbriefe einiger Bürger, die gingen ihm so richtig gegen den Strich und …«
»… er schmiss mit Klagen um sich!«, beendete ich den Satz.
»Nein, diesmal nur eine Klage wegen Verleumdung, Amtsbeleidigung und Unterstellung einer Vorteilsnahme. Für den Beklagten eine Katastrophe, wenn Prutschik gewonnen hätte.«
»Warum?«
»Weil man als Kassierer einer Bank nicht vorbestraft sein darf.« Mattes sah mich an.
Es dauerte einige Sekunden, bis ich es begriff.
»Olaf!«, flüsterte ich und schloss die Augen.
VIERZEHN
Noch immer in meiner Erstarrung gefangen, stand ich mit Steffen auf der Straße vor seiner Wohnung und verabschiedete Mattes nach Köln. Die Männer unterhielten sich, sahen von Zeit zu Zeit zu mir hinüber und steckten dann wieder die Köpfe zusammen, wie kleine Mädels auf dem Pausenhof. Wachablösung, wie es schien. Mattes übergab Steffen die Obhut über mein Wohl und Wehe. Ach, was sollte es. Steffen würde schon früh genug bemerken, dass ich keinen Ritter auf dem weißen Pferd wollte.
»Ach, und ganz wichtig noch, Steffen!« Mattes zeigte auf Steffens Füße, die in Outdoorsandalen steckten. »Niemals weiße Socken zu Sandalen und kurzen Hosen anziehen. Das ist total stillos.« Mit diesen Worten stieg er in seinen Wagen und brauste los.
»Wo er recht hat, hat er recht, unser Mattes.« Wider Willen musste ich grinsen. Schnell drehte ich mich um und ging ins Haus.
»Ich werde die Tabletten mit ins Krankenhaus nehmen und sie Thomas zeigen.« Die Blisterpackung knisterte, als ich sie aus meiner Handtasche zog, in deren Tiefen sie verschwunden war. »In den letzten Tagen ist Olaf aggressiv, ungerecht und extrem impulsiv. Er greift mich an, wo er nur eine Gelegenheit dazu findet. Ich habe gedacht, es läge an den Sorgen, die er sich um dich macht, aber das ist es nicht.«
Steffen runzelte die Stirn. »Mit mir hat er fast gar kein Wort gewechselt. Ich dachte: Klar zieht er die neue Freundin dem alten Kumpel vor.« Er lächelte. »Mach ich doch nicht anders!«
Er streckte die Hände nach mir aus, zog mich in die Arme und wollte mir einen Kuss geben. Ich erwiderte die Zärtlichkeit, war aber in Gedanken völlig woanders.
»Hey, Kommissarin!« Steffen wedelte mit den Fingern seiner linken Hand vor meiner Nase herum.
Ich schüttelte den Kopf und löste mich aus seiner Umarmung.
»Ich muss auch wissen, wie es Hermann geht.«
»Und du solltest Thomas noch einmal auf deine Beine sehen lassen.«
»Was?« Ich vertiefte die Falten auf meiner Stirn, dann fiel es mir wieder ein. Die Wunden an meinen Schienbeinen. »Die habe ich komplett vergessen. Das kann ja nur bedeuten, dass sie verheilen.«
»Trotzdem.«
Ich lächelte und nickte. »Ja, oh edler Ritter mit dem weißen Strumpf, ich werde mein Leibeswohl nicht vernachlässigen.«
»Und ich kümmere mich in der Zeit ein wenig um die Waldesruh«, gab Steffen zurück. »Bei diesem Wetter sind viele Touristen auf der Dreiborner Höhe unterwegs. Da muss der Ritter achtgeben, damit die Wanderer nicht vom rechten Pfade abkommen.«
Wieder nahm er mich in den Arm und küsste mich. Diesmal genoss ich es.
»Pass auf dich auf, Kommissarin. Die Welt ist gefährlich«, murmelte Steffen, als wir uns schließlich voneinander lösten.
»Verlauf dich nicht, Förster. Der Wald ist groß«, gab ich zurück, holte den Autoschlüssel aus meiner Handtasche und ging die Stufen hinunter zur Haustür.
»Kommissarin?«
Ich blieb auf dem Treppenabsatz stehen und drehte mich um. »Ja?«
»Vertrau deinem Bruder! Er ist kein Mörder. Er ist mein bester Freund.«
»Genau das Gleiche hat er auch von dir gesagt.«
Steffen grinste. »Sag ich doch.«
* * *
Das Fell des Kätzchens glitt weich durch ihre Finger. Sie fühlte die Rippen,
Weitere Kostenlose Bücher