Gemuender Blut
Kopf. Wieder ein ohrenbetäubender Knall. Die gesamte untere linke Seite des Wagens schlidderte über den Asphalt, schrammte, einen Funkenregen hinterlassend, an der Leitplanke der Gegenfahrbahn entlang. Ich war wie in einen Nebel gehüllt und trotzdem in der Lage, jeden meiner Gedanken klar und gestochen scharf zu analysieren.
Dann sah ich den Bus auf mich zukommen und riss die Augen auf. Das grünbeige Logo des Gemünder Busunternehmers brannte sich in mein Gehirn. Ich sah die entsetzten Blicke des Fahrers. Ich kannte ihn. Als Kinder hatten wir zusammen gespielt. Er tat mir leid. Was würde bleiben? Ein weiteres Holzkreuz an dieser Stelle?
Sekunden. Augenblicke. Bremsen quietschen. Atemstille.
Nein!
Mit aller Kraft riss ich das Lenkrad nach rechts, drückte auf das Gaspedal und brüllte. Adrenalin tobte durch meine Adern. Mein Herz spürte ich nicht mehr. Kalter Schweiß auf der Haut. Ich hatte nur diese eine Chance. Aus den Augenwinkeln sah ich, wie der Bus schwankend und stockend die Abzweigung nach Kall hinunterpreschte. Der Käfer schleuderte herum, schoss nach vorne quer über die Straße und bohrte sich mit der Front in die Böschung einer kleinen Parkbucht. Es wurde dunkel.
»Ina?« Jemand schüttelte mich behutsam. »Ina?«
Ich öffnete die Augen. Die Dunkelheit verschwand, und ich sah durch mein zerbrochenes Seitenfenster in zwei besorgte Gesichter.
»Ina?« Der Busfahrer. Er hatte mich erkannt.
»Hallo, Frank«, murmelte ich benommen und bewegte nacheinander meine Hände, Arme, Füße, Beine. Komplettcheck.
»Bist du verletzt?«
»Nein.« Ich schüttelte den Kopf. Auch das ging. Nichts schmerzte.
»Ich hab versucht, Sie zu warnen, aber Sie ham mich nich jesehen!« Der Mann trug eine Baseballkappe mit FC-Köln-Logo, ein weißes Hemd und darunter weite Shorts. Der Lkw-Fahrer vermutlich. »Ihr Vorderrad hat jeeiert wie eine alte Sackkarre. Hamse dat nich jemerkt?«
»Doch, aber so wie es aussieht, zu spät!«
Frank ging um die Reste dessen herum, was einmal mein Käfer gewesen war, und öffnete die Beifahrertür. »Kannst du rausklettern?«
Statt einer Antwort löste ich den Sicherheitsgurt, schwang meine Beine in den Fußraum des Nebensitzes und rutschte hinüber. Frank half mir auf und stützte mich unter den Armen, als er mich zu dem Stapel Baumstämme führte, der am äußersten Rand der Böschung lag.
»Setz dich. Ich rufe Polizei und Notdienst.«
Ich wollte protestieren, aber er ließ keinen Widerspruch zu.
Als er sich abwandte und in sein Handy sprach, stand ich auf und ging zum Wagen zurück. Die linke Seite war vollkommen zerstört. Die Reifen wie Luftpolster eines Autoskooters quer unter der Karosserie eingeklemmt, nur Löcher dort, wo Chromleisten und Türgriffe einmal befestigt waren. Das Trittbrett hatte sich aus seiner vorderen Verankerung gerissen und lag ebenfalls halb auf dem Boden.
Ich angelte meine Handtasche aus dem Wageninneren, suchte das Telefon und drückte die Kurzwahl von Steffens Handynummer.
Er meldete sich, und ich erklärte ihm in kurzen Worten, was passiert war.
Seine Reaktion war kurz und knapp: »Ich bin schon da.«
»Sie sind auf dem Weg.« Frank stand neben dem Wagen und begutachtete das zerbeulte Blech. »Du hast einen Schutzengel gehabt, da eben.«
Ich nickte und spürte, wie ich zitterte.
»Richtig Schwein gehabt.«
»Du auch.« Meine Stimme fühlte sich rau an. »Wie geht es dem Bus?«
»Der steht unten an der Haltestelle. Dem ist nichts passiert.« Frank beäugte mich misstrauisch.
»Du bist sicher, dass du in Ordnung bist?«
Ich nickte wieder schmerzfrei. »Ganz sicher.«
Das Jaulen der Sirenen wurde lauter, kam näher und verstummte. Polizei und Notarzt kündigten ihr Kommen an.
Diesen Arzt kannte ich nicht. Er untersuchte mich, lauschte an meiner Lunge, testete meine Pupillen, drehte und wendete meine Arme und Beine. Seiner eindringlichen Bitte, mich im Krankenhaus untersuchen zu lassen, entzog ich mich höflich, aber sehr bestimmt. Auch das Schleudertrauma, mit dem er mir für den morgigen Tag drohte, konnte mich nicht abschrecken. Es wäre nicht das erste seiner Art, das ich mit heißem Badewasser und Rheumapflastern in den Griff bekommen würde. Das Letzte, was ich jetzt brauchen könnte, war ein weiterer Aufenthalt im Krankenhaus.
Ein Abschleppwagen traf gleichzeitig mit Steffen an der Unfallstelle ein.
»Ich habe ihn angerufen«, sagte Frank. »Der Wagen sieht nicht so aus, als ob er den Weg bis nach Gemünd alleine schaffen
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