G.E.N. Bloods 1 - Eisfeuer - Felsing, K: G.E.N. Bloods 1 - Eisfeuer
nicht. Ihr Gesicht ist leicht bläulich verfärbt. Seine Finger berühren ihren Hals, tasten nach dem Puls. Er schlägt schnell, aber deutlich spürbar. Seine andere Hand legt er auf ihre Magengegend, bis er mehrfach das Heben und Senken ihres Brustkorbs gespürt hat. Offensichtlich leidet sie unter Sauerstoffmangel. Er schüttelt sie an den Schultern, zieht ihre Lider hoch. Ihre Augen sind verdreht, beinahe ist nur Weiß zu sehen. Sie spielt ihm nichts vor. Seine Ruhe ist unerschütterlich, als hätte er Valium genommen. Das Spiel wird nicht an dieser Stelle zu Ende sein. Er weiß es, er spürt es. In diesem Fall ist keineswegs der Weg das Ziel, sondern allein die Vollendung, die ihn erwartet. Sein durch die Ungerechtigkeit der schwerenKrankheit grausam verkürztes Leben wird wenigstens in die Geschichte eingehen. Das ist viel mehr wert als fünfundachtzig Jahre oder etwas mehr, um danach flugs in eine Vergessenheit zu geraten, als hätte man nie existiert. So geht es den meisten Menschen, und nur außergewöhnliche Leistungen oder Taten ändern etwas daran.
Er greift nach der Frischhaltefolie, sucht einen Anfang, und als er keinen findet, durchbohrt er die Folie an ihren Lippen, reißt sie auf und zieht ihr den Knebel aus dem Mund. Danach wickelt er neue Zellophanschichten um ihren Kopf. Wenn sie sich einigermaßen ruhig verhält, sollte sie jetzt besser atmen können, wenn auch noch immer nur durch die Nase. Erneut kontrolliert er ihre Atmung und den Puls. Ihr Herzschlag hat sich ein wenig beruhigt und ihr Gesicht nimmt wieder eine normale Färbung an. Vielleicht ist ihr der Stoff zu tief in den Rachen gerutscht.
Jäh wird ihm bewusst, dass die verfluchte Kamera noch läuft. Rachel hat das Geschehen verfolgt. Sie hat die Hände vor den Mund gepresst und starrt ihn an. Er beugt sich vor. „Bye bye, Rachel.“ Der hinuntergedrückte Deckel des Notebooks rastet mit einem Klicken ein.
Er wirft einen Blick auf das Bett. Cindy liegt ruhig da, ihre Lider zucken hin und wieder. Er gleitet in einen gemütlichen Sessel neben einem kleinen Tischchen. Die Reste des Essens stehen noch darauf und er greift zu einem Apfel. Die Gedanken an das Ende haben sich aus seinem Unterbewusstsein hervorgewütet. Bisher hat er die Auseinandersetzung mit den unterschwelligen Fragen vermieden. Es ist an der Zeit, letzte Entscheidungen zu treffen.
Reicht es ihm, dass er als Serienmörder in die Geschichte eingehen wird, ohne dass die Menschheit eine Bestätigung seiner Taten gefunden hat? Wäre es nicht schöner, er verrät sein Versteck, damit man sein Kunstwerk findet? Er greift zu seiner Notebooktasche und zieht Block und Kugelschreiber hervor. Die Zeit, die er noch braucht, wird definitiv reichen, auch wenn er einen Umschlag an die Polizei in einen Briefkasten steckt. Bis dieser sein Ziel erreicht hat, hat er das seine vollendet. Er kritzelt ein paar Zeilen auf das Papier und beschreibt den Weg zu der Stelle im Wald, an der sich der Höhleneingang hinter Sträuchern verbirgt. Wenn sie ihn finden, wird er tot sein. Cindy auch. Er stellt sich den Aufruhr vor, die Berichterstattung, das Gewimmel rund um den Fundort. Wie in einem Film ziehen lebhafte Sequenzen an ihm vorbei. Er weiß nicht, wie er die Vorstellung einordnen soll. Dutzende Menschen trampeln in der Höhle herum, entweihen sein Kunstwerk, fotografieren, nehmen Proben, drehen jedes Staubkörnchen mehrfach um. Und dann beginnen sie, die Trophäen von den Wänden abzunehmen, packen sie in schwarze Plastiksäcke und bringen sie fort. Sein Mund wird trocken. Er greift nach der Wasserflasche und trinkt einen Schluck.
Die Zeit tickt langsam vor sich hin. Es geht auf neun Uhr zu. Halb zehn. Seine Entscheidung ist gefallen. Die beiden Geständnisse sind ausreichend. Sie werden dafür sorgen, dass sein Name Einzug in die Geschichtsbücher hält, mehr braucht er nicht. Sein Versteck wird geheim bleiben. Er zerreißt das Papier, vernichtet auch die nächsten Blätter, auf denen sich noch Abdrücke des Kugelschreibers entziffern lassen könnten, und spült die Fetzen in der Toilette hinunter. Vor dem Spiegel betrachtet er sein Gesicht. Die Müdigkeit hat Spuren hinterlassen. Seine Augen sind umschattet, Bartstoppeln sprießen auf seinen Wangen. Die Krankheit jedoch sieht man nicht. Er wirkt etwas mitgenommen, aber nicht unattraktiv, eher im Gegenteil. So ist es schon immer gewesen, die Natur hat ihn mit vielen positiven Eigenschaften ausgestattet. Es gibt Menschen, die selbst nach einer
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