G.E.N. Bloods 1 - Eisfeuer - Felsing, K: G.E.N. Bloods 1 - Eisfeuer
sich, was sie wohl trinkt und versinkt tiefer und tiefer in ihrer Betrachtung. Sie ist jung, bestimmt gerade erst volljährig geworden. Die Clubbesitzer halten es sehr genau mit den Kontrollen. Minderjährige erhalten keinen Zutritt. Er versucht, in ihrem Gesicht und an ihrer Körpersprache abzulesen, ob sie noch Jungfrau ist. In der Vergangenheit hat es ihn manchmal gereizt, der Erste zu sein, aber besonders wichtig war es ihm nicht. Es machte einfach Spaß. Hin und wieder. Jetzt bemerkt er, dass ihn etwas anderes zu reizen beginnt. Das Beobachten. Eine ganze Weile praktiziert er es, ohne dass sie es merkt. Hin und wieder schweift ihr Blick über ihn hinweg, aber sie beachtet ihn nicht. Anfangs. Irgendwann fällt er ihr auf. Sie erwidert den stummen Kontakt nicht, sondern schaut schnell zur Seite, als wäre ihr Augenmerk nur zufällig auf ihn gefallen, doch sie kann ihn nicht täuschen. Er behält jede ihrer Bewegungen im Auge, steht sogar auf und stellt sich an eine andere Position, als sie sich einen neuen Drink holt. Niemals kommt er ihr nahe, immer nur so weit, dass er sie beobachten kann. Es dauert nicht lange, bis sie es merkt. Er sieht, wie es ihr zunehmend unangenehmer wird. Sie reagiert nervös, macht immer öfter Bewegungen, als würde sie ihr Haar hinter das linke Ohr streichen, obwohl sich gar keine Strähne aus der wilden Hochsteckfrisur gelöst hat. Ihre Haut wirkt selbst in der schummrigen Clubbeleuchtung immer blasser. Sie trinkt hastig, mit kleinen Schlucken. Ihre Blicke huschen immer öfter zu ihm und dann wendet sie sich blitzschnell wieder ab. Wenn andere ihn zufällig mustern, tut er so, als richtete er seine Aufmerksamkeit auf nichts Bestimmtes, aber ihr fällt es auf, dass er nur sie im Visier hat.
Seine Hormonproduktion sprudelt.
Längst gehört der pochende Schmerz, der ihn in den Irrsinn zu treiben drohte, der Vergangenheit an. Er genießt das Gefühl, sich endlich befreit zu fühlen.
Seine Laune steigt, er stimmt sogar zu, als ihn eine blonde Schönheit zum Tanzen auffordert. Sie hat nichts dagegen, dass er die Hände ein wenig zu tief an ihren gerundeten Hüften hinabwandern lässt und er spürt, dass es ihn nicht reizt. Eine ganz andere Art von Erregung hat von ihm Besitz ergriffen. Er lässt die junge Frau mit dem Drink in der Hand nicht aus den Augen, nicht einmal während des Tanzes. Die Blondine presst sich an ihn, zieht ein angesäuertes Gesicht, als sie bemerkt, dass er keine Erektion bekommt. Sie lässt sich von einem anderen Mann abklatschen und er verlässt die Tanzfläche in eine Richtung, in der er seine Eroberung erneut intensiv betrachten kann. Ihr scheint es zu viel zu werden, sie verlässt den Club – aber er bleibt zurück mit einem Gefühl, den Schmerz besiegt, die Welt und das Leben zurückgewonnen zu haben.
In der darauf folgenden Zeit wiederholt er das Spiel und es fängt nicht nur an, ihm über alle Maßen zu gefallen, er ist mittlerweile auch sicher, dass er auf diese Weise seinen Schmerz besiegt, wirksamer als mit irgendeiner Medizin.
Natürlich macht er sich Gedanken um seine Schmerzen, sucht immer öfter im Internet und findet zahlreiche Informationen, die seine Eigendiagnose bestätigen. Er leidet unumstößlich unter einem Gehirntumor.
Neuerdings spielt seine Körpertemperatur verrückt. Ihm macht die Hitze in der Stadt nichts mehr aus, weil das Fieberthermometer häufig unter 95 Grad Fahrenheit anzeigt. Er hat sich sogar ein neues, digitales besorgt, um sicherzugehen, dass die Anzeige stimmt. Fieber bekommt er nicht einmal mehr bei einer heftigen Erkältung. Diese Untertemperatur reicht noch nicht an Unterkühlung, aber er weiß, dass der
Nucleus preopticus
, eine Anhäufung von Nervenzellen am zur Kopfvorderseite gerichteten Ende des Hypothalamus gelegen, unter vielem anderen für die Steuerung der Körpertemperatur verantwortlich ist und bei ihm nicht mehr richtig zu funktionieren scheint. Das defekte Steuerzentrum in seinem Gehirn muss für das Durcheinandergeraten der Hormone verantwortlich sein und diese wiederum steuern weite Teile seines Handelns und Verlangens. Allerdings wird der Hypothalamus nicht der einzige betroffene Bereich sein, das ist ihm klar. Sein gesamtes Limbisches System, das der Verarbeitung von Emotionen und dem Entstehen von Triebverhalten dient, funktioniert nicht mehr richtig bis auf die Ausschüttung von körpereigenen, schmerzstillenden Hormonen, den Endorphinen. Opioide, die seine Schmerzen auslöschen.
Mit der Zeit hat er
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