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Gene sind kein Schicksal

Gene sind kein Schicksal

Titel: Gene sind kein Schicksal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Blech
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Schlüsselrolle für unser seelisches Wohlbefinden, weil »viele neuronale Erkrankungen letztlich mit einer veränderten Genexpression einhergehen«, wie es der Hirnforscher André Fischer vom European Neuroscience Institute Göttingen ausdrückt. Fischer selbst erforscht die häufigste neurodegenerative Erkrankung, Morbus Alzheimer, an der allein in Deutschland etwa zwei Millionen Menschen leiden. Bei der schrecklichen Erkrankung, die zumeist in höherem Alter auftritt, sterben Nervenzellen ab. Dieser Hirnschwund entsteht offenbar, weil sich in den betroffenen Regionen des Gehirns eine Art Proteinschlacke ablagert.
    Die Umwelt formt das Gehirn
    Bei der Suche nach dem Auslöser von Alzheimer schauen etliche Forscher nur auf die Gene, dabei spielen auch Einflüsse aus der Umwelt eine gewichtige Rolle. Dass Alzheimer sogar mit Luftverschmutzung zusammenhängen könnte, vermutet die Gruppe um Ulrich Ranft vom Institut für Umweltmedizinische Forschung an der Universität Düsseldorf. Die Wissenschaftler haben knapp 400 ältere Damen untersucht, die seit mehr als 20  Jahren jeweils in bestimmten Städten und Gemeinden in Nordrhein-Westfalen lebten. Sie führten neuropsychologische Tests mit den Anwohnerinnen durch und bewerteten die Luftverschmutzung an den jeweiligen Wohnorten (dazu konnten sie auf amtliche Schadstoffmessungen aus 25  Jahren zurückgreifen). An jenen Wohnorten, an denen die Belastung mit Schadstoffen außergewöhnlich hoch war, hatten die Anwohnerinnen vermehrt mit kognitiven Beeinträchtigungen zu kämpfen. Ergebnisse aus Tierversuchen wiederum zeigen: Feinstaub und ultrafeine Partikel, die bei Verbrennungsprozessen entweichen, können in das Gehirn gelangen und das dortige Nervengewebe entzünden.
    Auch soziale Faktoren scheinen das Risiko für Alzheimer direkt zu beeinflussen. Beispiel Bildung: Je mehr ein Mensch gelernt hat, desto stärker ist er vor Alzheimer geschützt. Pauken und Denken erhöhen die Dichte der neuronalen Verbindungen im Gehirn – und statten einen Menschen auf diese Weise mit einer »kognitiven Reserve« aus, die ihm hilft, den Verlust von Nervenzellen im Alter besser zu verkraften. Diesen Schutzschild haben Forscher entdeckt, als sie 130 hochbetagte Mönche und Nonnen untersuchten. Sie testeten die Denkkraft der greisen Geistlichen und obduzierten – nach dem natürlichen Ableben – ihre Gehirne. Die erste Erkenntnis war: Die Nervenzellen der Nonnen und Mönche waren, egal welche Ausbildung sie jeweils hatten, im gleichen Ausmaß von den für Alzheimer typischen Ablagerungen betroffen. Zweitens gab es dennoch einen bemerkenswerten Unterschied: Die Nonnen und Priester mit besonders guter Ausbildung waren geistig fit geblieben, sie hatten sich ihre hohen kognitiven Fähigkeiten bis in die letzte Phase ihres Lebens erhalten. Diese Menschen schienen gefeit gegen die Symptome der für Alzheimer typischen Ablagerungen: Diese zeigten sie erst, wenn sich in ihren Nervenzellen fünfmal mehr Ablagerungen angesammelt hatten als in den Gehirnen der weniger gebildeten Vergleichspersonen. Ihre gute Ausbildung hatte ihnen offenbar besonders plastische Nervenzellen beschert, die gegen Morbus Alzheimer erstaunlich immun sind.
    Wacher Geist in bewegtem Körper
    Körperliche Aktivität mindert ebenfalls das Risiko, an Alzheimer zu erkranken. Sie kurbelt nämlich im Hippocampus die Produktion des Wachstumsfaktors BDNF (für:
brain-derived neurotrophic factor
) an, der sich im Schädelfach positiv auswirkt: Zum einen schützt er Nervenzellen und erhält diese erregbar und plastisch; andererseits begünstigt BDNF im Hippocampus die Herstellung frischer Neuronen. Dass ausgerechnet körperliche Bewegung neue Nervenzellen sprießen lässt, hat vermutlich einen evolutionären Hintergrund. Unsere Vorfahren in der Steinzeit haben jeden Tag ungefähr 40  Kilometer zu Fuß absolviert und auf diesen Streifzügen etliche Abenteuer überstehen müssen. Um die neuen Situationen unterwegs verarbeiten zu können, hielt das Gehirn immer einen Vorrat an frischen Neuronen vor. Das erklärt, warum sportlich aktive Menschen mehr Nervenzellen produzieren als Zeitgenossen, die träge vor einem Bildschirm verharren.
    Der Göttinger Hirnforscher André Fischer und seine Kollegen haben dazu bemerkenswerte Experimente gemacht, und zwar an Mäusen, die unter massivem Hirnschwund litten. [51] Sie hielten diese Tiere, die bereits ein Viertel ihrer Hirnzellen eingebüßt hatten, vier Wochen lang in geräumigen Gehegen,

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