Gene sind kein Schicksal
wird, [52] treiben pharmazeutische Unternehmen die Biologisierung der Psychiatrie voran. Die Industrie bezahlt mittlerweile mehr als 80 Prozent der klinischen Studien zu seelischen Erkrankungen und kontrolliert die Ergebnisse: Vielversprechende Resultate werden veröffentlicht, nachteilige Daten verschwinden in der Schublade. Manche Medizinprofessoren finden nichts weiter dabei, für pharmazeutische Firmen als Berater in den Ring zu steigen. Gegen satte Honorare halten sie dann auf Kongressen und Pressekonferenzen Vorträge und stellen seelische Erkrankungen als vornehmlich biologische Probleme dar.
Diese Sicht hat auch historische Gründe. Früher wurde die Psychiatrie innerhalb der Ärzteschaft gerne als Fach belächelt, dem ein wissenschaftliches Fundament fehle. Umso emsiger streichen Psychiater die vermeintlichen »harten« biologischen Wurzeln seelischer Erkrankungen heraus und leugnen die angeblich »weichen« Einflüsse aus der Umwelt. Das schließlich freut das medizinische Laienpublikum, weil die Schuld an ADHS , Depressionen, Schizophrenie ja in den Genen liegt.
Ausgerechnet die neurobiologische Forschung hat diese Sicht jetzt als Trugschluss entlarvt. Entscheidend ist, wie die Gene gesteuert werden. Ob und wann dies geschieht, unterliegt dem Einfluss der Umwelt. Suchtstoffe und Umweltchemikalien, aber auch Erfahrungen, Gefühle und Beziehungen führen zu biologischen Spuren in den Nervenzellen und entscheiden maßgeblich, wie es der Seele geht.
Kapitel 6 Das Märchen von den Marionetten
Eigentlich ist Geoffrey Miller ein braver Familienvater. Wenn er sich für leicht bekleidete Frauen interessiert, dann nur, um psychologische Erkenntnisse zu gewinnen. Er stellte verstärkt Nachforschungen über einschlägige Etablissements in den schlechteren Gegenden seiner Heimatstadt Albuquerque ( US -Bundesstaat New Mexico) an.
Das männliche Publikum in den Clubs kam aus allen Schichten, junge Kerle waren darunter, aber auch abenteuerlustige Großväter, alle mit reichlich Dollarscheinen ausgestattet. Leicht alkoholisiert, so erfuhr Psychologe Miller, widmeten sich die Männer den Attraktionen des Abends, den Striptease-Tänzerinnen.
Die Damen boten eine Dienstleistung, die in den eher prüden Vereinigten Staaten noch nicht als Prostitution gilt und aus diesem Grund in den von Miller untersuchten »Gentlemen’s Clubs« von den Ordnungshütern noch geduldet wird. Sie offerierten den sogenannten lap dance. Die Frau setzt sich auf den Schoß eines Mannes, und die beiden bewegen sich im Rhythmus der Musik.
Mitgetanzt hat Miller dann doch nicht. Lieber betrachtete er das Treiben mit den Augen des Psychologen und hielt es in der Sprache des Wissenschaftlers fest: [53] Der Tanz bringe »typischerweise rhythmischen Kontakt zwischen dem weiblichen Becken und dem mit Kleidern bedeckten männlichen Penis«. Nach drei Minuten ist er vorbei, und die Frau bekommt dafür Geld, mindestens zehn Dollar, oft deutlich mehr.
Wovon hängt es eigentlich ab, wie viel Geld ein Mann der barbusigen Tänzerin zusteckt?
Um diese Frage hat sich Millers Feldstudie gedreht, die er mit anderen Psychologen von der University of New Mexico durchgeführt hat. Sie verfolgten den Arbeitsalltag von 18 Tänzerinnen über 60 Tage hinweg und holten zwei Informationen ein: Einerseits ließen sie die Frauen den Monatszyklus protokollieren; zum anderen wollten sie die genaue Höhe der jeweiligen Tageseinnahmen wissen.
Das Abgleichen der Daten ergab ein überraschendes Ergebnis: Ein Mann ist immer dann besonders freigiebig, wenn die Tänzerin gerade in ihrer fruchtbaren Phase ist. In den Tagen um ihren Eisprung herum verdienten die Tänzerinnen durchschnittlich 335 Dollar in einer Schicht – während der Menstruation waren es nur 185 Dollar.
Gutes Geld, gute Gene?
Auf welche Weise die Männer die Empfängnisbereitschaft der Frauen gespürt haben könnten, bleibt rätselhaft. Die Motive der spendablen Männer zu erklären, haben Miller und seine Kollegen Forscher jedoch keine Mühe. Im Zustecken der Dollarscheine sehen sie einen unbewusst ablaufenden Dialog: Die Männer haben demnach versucht, mit dem Geld einen hohen sozialen Status zu demonstrieren. Dieses Status-Signal werde von den Frauen als Hinweis auf gute Erbanlagen gewertet.
Verfügen spendable Männer über die besseren Gene? Diesen Zusammenhang will auch Daniel Kruger von der University of Michigan in Ann Arbor ausgemacht haben. [54] Er hat Männer im Alter von 18 bis 45
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