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Gene sind kein Schicksal

Gene sind kein Schicksal

Titel: Gene sind kein Schicksal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Blech
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zwischenmenschliche Erfahrungen nicht festschreiben können, fehlt dem Gehirn notwendige Anregung und Herausforderung. Auch ihre Rolle als soziale Außenseiter könnte die Probleme der Kinder auf zellulärer Ebene verschlimmern. Denn ein niedriger sozialer Status ist mit einem verringerten Gehalt des neuronalen Botenstoffs Dopamin im Gehirn verbunden, wie zumindest Versuche an Affen ergeben haben.
    Gleiches Erbgut, ungleiche Seelengesundheit
    Eineiige Zwillinge haben ein identisches Erbgut, aber sie erkranken mitnichten immer an den gleichen psychiatrischen Leiden. Beispiel Schizophrenie: Wenn sie ein reines Erbleiden wäre, dann müsste die Erblichkeit bei einem Faktor von 1 , 0 liegen. Doch Untersuchungen unter eineiigen Zwillingen zufolge liegt der Faktor nur bei 0 , 31  – es muss also noch Auslöser geben, die mit den Genen nichts zu tun haben. [48]
    Welche das sein könnten, das kann man herausfinden, indem man Kinder untersucht, deren leibliche Mutter schizophren ist, die aber von seelisch gesunden Adoptiveltern großgezogen worden sind. Pekka Tienari und seine Kollegen an der Universität von Oulu in Finnland haben die bisher umfassendste Studie dieser Art gemacht. Zunächst einmal haben sie die Krankenakten von ungefähr 19   000  Frauen gesichtet, die zwischen 1960 und 1979 irgendwo in Finnland in der psychiatrischen Abteilung eines Krankenhauses behandelt worden waren. [49] Aus den Akten filterten sie dann die Namen all jener Frauen, die wegen Schizophrenie in die Psychiatrie gekommen waren. Schließlich suchten sie in Gemeinderegistern und Volkszählungsdaten nach Informationen, ob diese Frauen Kinder bekommen hatten und welche dieser Kinder zur Adoption freigegeben worden waren. In mühseliger Suche gelang es den Forschern, 145 solcher Adoptivkinder ausfindig zu machen. Sie besuchten jedes einzelne Kind und dessen Adoptivfamilie und führten zwei Tage Interviews in verschiedenen Konstellationen: mit jedem Familienmitglied alleine, mit den Eltern, mit der ganzen Familie. Die Forscher machten sich überdies Notizen, wie es um die zwischenmenschlichen Beziehungen bestellt war: Wie gingen die jeweiligen Familienmitglieder miteinander um?
    Zum Vergleich gab es eine Kontrollgruppe mit 158  Adoptivkindern, deren leibliche Mutter jeweils nicht schizophren war. Auch diese Kinder und ihre Familien ließen sich zwei Tage lang begutachten.
    Anhand ihrer Daten teilten die Forscher die Familien schließlich fünf Gruppen zu. Das Spektrum reichte von »gesund« bis »deutlich dysfunktional«. Des Weiteren dokumentierten Tienari und seine Kollegen, welche Adoptivkinder Symptome einer Schizophrenie zeigten.
    Von den 158  Kindern jeweils gesunder leiblicher Mütter waren acht schizophren geworden. Von den 145  Kindern mit schizophrener leiblicher Mutter waren dagegen 32 schizophren geworden – das ist ein Hinweis auf eine biologische Komponente. Ebenso aufschlussreich war es jedoch, die erkrankten Kinder entsprechend ihren Familien zu gruppieren: Von den 32 schizophrenen Kindern mit der genetischen Vorbelastung waren nämlich besonders viele in gestörten, in dysfunktionalen Familien aufgewachsen. Umgekehrt blieben Kinder trotz genetischer Vorbelastung überdurchschnittlich häufig seelisch gesund, wenn sie in einem intakten Elternhaus groß wurden. Neben den Genen gibt es also einen mächtigen Faktor: In einer heilen Familie aufzuwachsen ist der beste Schutz gegen Schizophrenie.
    Offenbar entscheiden epigenetische Prägungen mit, ob und wie stark eine Erkrankung aus dem Spektrum der Schizophrenien ausbricht. [50] Dafür sprechen zwei Argumente: Erstens behandeln Ärzte schizophrene Menschen seit langem mit der Substanz Valproinsäure, die in die epigenetische Steuerung eingreift, weil sie ein körpereigenes Enzym hemmt, das Acetylgruppen vom Erbgut entfernt, die Histondeacetylase. Dieses pharmakologische Wirkprinzip hat man übrigens erst im Nachhinein erkannt.
    Zum Zweiten haben Forscher die Gehirne verstorbener Menschen untersucht, die an Schizophrenie litten, und in den Nervenzellen Hinweise auf epigenetische Veränderungen gefunden. So war die DNA -Methyltransferase (das Enzym, das andere Gene methyliert und damit ausschaltet) in den Nervenzellen des präfrontalen Kortex überaus aktiv gewesen. Die resultierende Methylierung betraf offenbar zwei bestimmte Gene (
gad 67
und
Reelin
), zumal diese in den Gehirnen der Patienten weitgehend abgeschaltet waren.
    Vermutlich spielt die Epigenetik generell eine

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