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Gene sind kein Schicksal

Gene sind kein Schicksal

Titel: Gene sind kein Schicksal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Blech
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trainierten Mäuse waren deutlich mehr funktionstüchtige neue Neuronen herangereift als in jenem der Nichtrenner.
    Vermittelt wird der Effekt offenbar, indem sich die Epigenetik der Nervenzellen im Hippocampus verändert. Stress und Altern vermindern die Neurogenese; körperliche Bewegung und eine stimulierende Umwelt erhöhen sie. Diese unterschiedlichen Einflüsse können die Zellen des Hippocampus offenbar über epigenetische Mechanismen »erfühlen«. [72] Ein Beispiel dafür, wie äußere Signale auf die Herstellung neuer Nervenzellen wirken, ist das Protein namens BDNF , das im Gehirn wie Nervendünger wirkt und vermutlich deshalb vor Morbus Alzheimer schützt. Bei Stress sinkt der BDNF -Spiegel rapide ab – aber im Zuge körperlicher Aktivität geht er in kurzer Zeit steil nach oben, regt die Neurogenese an und hilft mit, das Gemüt aufzuhellen. Das zeigen auch klinische Studien: Gegen viele Depressionen hilft flottes Spazierengehen (je 30  Minuten an den meisten Tagen der Woche) genauso gut, wenn nicht sogar besser als herkömmliche Antidepressiva.
    Gymnastik für den Geist
    Doch erfreulicherweise steht die körperliche Bewegung im Kampf gegen den Stress nicht allein da. Auch Gehirngymnastik scheint die Architektur angegriffener Nerven nachhaltig zu verbessern. Yoga-Anhänger und Meditierende, Spiritualisten und Psychotherapeuten spüren das seit langem. Etliche Ärzte und Naturwissenschaftler dagegen haben diese Möglichkeit lange kategorisch ausgeschlossen. Wenn das Gehirn lernt, so die klassische Lehrbuchweisheit, ändere es zwar seine Arbeitsweise – niemals aber die Struktur seiner Zellen und Gewebe.
    Die Lehrmeinung darf endgültig als überholt gelten. Der mit dem Medizinnobelpreis dekorierte Psychiater Eric Kandel von der Columbia University in New York hat dazu ein aufschlussreiches Experiment vorgestellt: [73] Er und seine Kollegin Daniela Pollak machten mit Mäusen eine Art Verhaltenstherapie. Zunächst brachten sie den Tieren bei, einen bestimmten Ton mit »Sicherheit« in Verbindung zu bringen. Diese konditionierten Mäuse wurden dann gezielt unter Stress gesetzt. Die Forscher steckten die Tiere in eine Wanne voll Wasser – verzweifelt paddelten die von Natur aus wasserscheuen Mäuse herum, um sich über der Oberfläche zu halten. Als die Forscher ihnen jedoch das vertraute Signal »Sicherheit« vorspielten, legte sich ihre Panik.
    Anschließend untersuchten Kandel und Pollak, ob dieser konditionierte Therapieeffekt das Gehirn der Nager verändert hatte. Im Hippocampus wurden sie fündig. Der Nervendünger BDNF fand sich dort in erhöhten Mengen, überdies waren bereits erstaunlich viele neue Nervenzellen entstanden. Das menschliche Denkorgan dürfte ähnlich auf Außenreize reagieren, vermutet der in Wien geborene Eric Kandel: »Mich hat schon immer interessiert, wie die Psychoanalyse funktioniert«, sagt er. »Weil es eine Lernerfahrung ist, muss es dafür eine biologische Grundlage im Gehirn geben.«
    Selig wie ein Mönch
    Andere Neurowissenschaftler studieren buddhistische Mönche, um besser zu verstehen, wie Meditieren Strukturen im Gehirn beeinflusst. Von den Klöstern im Himalaja sind vor einiger Zeit etwa ein Dutzend Mönche in die beschauliche Universitätsstadt Madison im US -Bundesstaat Wisconsin gereist. Dort meldeten sie sich bei dem Psychologen Richard Davidson vom Waisman Laboratory for Brain Imaging and Behavior. Einer der Mönche hatte in der tibetischen Abgeschiedenheit mehrere tausend Stunden meditiert – was hatte das mit seinem Gehirn angestellt?
    Um das herauszufinden, klebten die Forscher dem Mönch 128  Elektroden auf den rasierten Schädel und baten ihn, im Labor zu meditieren: Während der Mann ganz ruhig dasaß, brachte das Elektroenzephalogramm ein so heftiges Muster von Hirnaktionsströmen hervor, wie es der Psychologe Davidson noch nie gesehen hatte: Durch des Mönchs Kopf waberten Gammawellen, die 30 -mal so stark waren wie jene gewöhnlicher Menschen; diese Hirnwellen werden mit kognitiven Höchstleistungen in Verbindung gebracht.
    Als die Daten veröffentlicht wurden, lag die nächste Frage auf der Hand. [74] Können Einwohner der Industriestaaten ihre Gehirne auf vergleichbare Weise wie die Mönche verändern?
    Sara Lazar vom Massachusetts General Hospital hat dazu eine Studie mit 35  Probanden aus dem Großraum Boston durchgeführt, unter ihnen Anwälte, Journalisten und Ärzte. Zwanzig von ihnen waren schon seit längerem überzeugte Meditierende

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