Gene sind kein Schicksal
verspottet, sagt Manfred Schedlowski vom Institut für Medizinische Psychologie des Universitätsklinikums Essen. »Jetzt aber sehen wir, dass es sich um eine hochspezifische Strategie des zentralen Nervensystems handelt.« Traditionell hätten Mediziner den Placebo-Effekt als etwas für »Hysteriker, Spinner und Simulanten« gehalten, erklärt auch Paul Enck von der Abteilung Psychosomatische Medizin und Psychotherapie des Universitätsklinikums Tübingen, »nun schenken ihm Ärzte große Aufmerksamkeit«.
Dieser Wandel ist nur möglich gewesen, weil die neurobiologische Forschung den Placebo-Effekt hat fassen können: Er hat eine biologische Entsprechung im Nervensystem und führt zu physiologischen Veränderungen im Körper und vor allem im Gehirn. Der Placebo-Effekt ist damit ein reales Hirngespinst, das zunehmend auch Schulmediziner fesselt. Viele von ihnen überlegen, wie sie das Potential des Placebo-Effekts den Patienten zugutekommen lassen können.
Auch die Akupunktur und die vielen anderen alternativen Heilmethoden erscheinen plötzlich in anderem Licht: Selbst wenn das theoretische Gedankengebäude vieler Verfahren aus naturwissenschaftlicher Sicht widersinnig ist, so wirken diese doch auf das Gehirn und die Nervenzellen und können die Selbstheilungskräfte des Menschen mobilisieren. Wer die Hoffnung eines Patienten weckt, kurbelt damit die Placebo-Schaltkreise in dessen Gehirn an.
Und die Entdeckung, dass Placebos zu realen Veränderungen in den Körperzellen führen, zeigt einmal mehr, dass die Gene nicht autistisch sind und sich beeinflussen lassen. Gedanken und Gefühle verändern offenbar über epigenetische Signale die physiologischen Abläufe in bestimmten Hirnarealen, etwa in Teilen des Kortex, im Thalamus, im Nucleus accumbens (mit zuständig für Wohlgefühl) und in der Amygdala (zuständig für Ängste). [78] Diese Gebiete bilden ein Placebo-Netzwerk, in dem Zuversicht in körpereigene Schmerzmittel übersetzt wird. Das Netzwerk kann offenbar physiologische Mechanismen aktivieren, die gegen Krankheiten und Stress ankämpfen. Das erklärt auch, warum unspezifische Verfahren den Ausbruch und Verlauf so unterschiedlicher Erkrankungen wie Entzündungen, Herzinfarkte oder Autoimmunerkrankungen günstig beeinflussen können.
Während die Forschung dem Phänomen des Placebos immer besser auf die Spur kommt, spielt es im klinischen Alltag noch eine zu kleine Rolle. Studien zufolge unterbrechen Ärzte ihre Patienten im Durchschnitt nach 18 Sekunden – da bleibt wenig Zeit, heilende Gefühle zu wecken. »Da werden die Kranken zwar in große Untersuchungsapparaturen geschoben«, sagt der Psychosomatiker Paul Enck, »aber keiner hat mehr die Zeit, ihnen die Hand zu geben.«
Entmutigung macht krank
Und schlimmer noch: Allzu rasch rauben etliche Ärzte ihren Patienten mit einer unbedachten Äußerung die Hoffnung. Diese Entmutigung kann ebenfalls physiologische Veränderungen hervorrufen, allerdings abträgliche: Die Erkrankung kann sich verschlechtern, und es können sogar ganz neue Symptome entstehen. Dieser Nocebo-Effekt (lat. nocere = schaden) war zum Beispiel am Werk, als Ärzte im 19 . Jahrhundert Tomaten als giftig darstellten – tatsächlich ließen sich daraufhin Menschen in Krankenhäusern wegen Tomatenvergiftung behandeln.
Notwendig, aber ebenfalls wenig bekömmlich ist das Lesen von Beipackzetteln. Die Nebenwirkungen von Betablockern etwa sind aus pharmakologischer Sicht eigentlich nicht nachzuvollziehen. Dass sie dennoch auftreten, scheint auch an einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung zu liegen: Die Patienten entwickeln just jene Symptome, die sie als Nebenwirkungen auf dem Zettel gelesen haben.
Geradezu unheimlich ist, in welchem Ausmaß negative Manipulation das Wohlbefinden von Menschen beeinträchtigen kann. Becca Levy von der Yale University School of Public Health in New Haven ( US -Bundesstaat Connecticut) hat das am Beispiel des Altersrassismus dargelegt. Sie ließ gesunde Testpersonen, die älter als 60 Jahre waren, einen Rechentest am Computer absolvieren. [79] Währenddessen blitzten verschiedene Begriffe zum Thema Altern am Rand des Bildschirms auf, so schnell, dass sie von den Testpersonen nur unterbewusst wahrgenommen wurden.
Bei der einen Gruppe wurden positive Begriffe wie »weise«, »belesen« und »kultiviert« eingeblendet, bei der anderen negative Stereotype wie »verwirrt«, »senil« und »hinfällig«. Ergebnis: Die negativ manipulierten Menschen
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