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Gene sind kein Schicksal

Gene sind kein Schicksal

Titel: Gene sind kein Schicksal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Blech
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gesund ist, an diesem Morgen zunächst leichte Schmerzen zugefügt: In ihr Gesicht, links und rechts in die Kiefermuskeln, bekam sie Nadeln gestochen. Die von ihnen verursachten Schmerzen sind es, die Doktor Zubieta – zum Schein – behandelt.
    Alle vier Minuten lässt er einen Milliliter der physiologischen Kochsalzlösung in den Blutkreislauf der Frau fließen. Während sich die Lösung im Körper der Frau ausbreitet, verfolgen er und seine Kollegen, was sich im Gehirn der Probandin abspielt: Körpereigene Schmerzmittel (Endorphine) binden an Rezeptoren im Gehirn an, das können die Forscher an den Signalen des Positronenemissionstomographen ablesen. [76] Die Aufnahmen aus dem Innern des Gehirns beweisen es: Reine Suggestion führt zu einer biochemischen Antwort in und an den Nervenzellen. Und diese Antwort ist es, die den Schmerz messbar verringert. Mit gedämpfter, beinahe andächtiger Stimme sagt Zubieta: »Die Erwartungshaltung bewirkt reale Veränderungen im Körper.«
    Ein anderer Forscher, der die Macht der Suggestion im Gehirn dingfest machen konnte, ist Fabrizio Benedetti von der Universität Turin. Er und seine Kollegen haben Menschen untersucht, die an Schüttellähmung (Parkinson) erkrankt sind. [77] Bei diesem Leiden ist die Aktivität der Nervenzellen in einem bestimmten Hirnareal krankhaft erhöht, den Betroffenen zittern die Hände. Benedetti verabreichte einigen seiner Patienten eine Kochsalzlösung – sagte ihnen aber, es handle sich um eine wirkmächtige Arznei. Es war eine therapeutische Lüge: Das Heilsversprechen beeindruckte die Patienten. Ihre überaktive Gehirnregion wurde ruhiger; die Neuronen feuerten deutlich weniger (so Messungen an einzelnen Nervenzellen), und das Zittern der Patienten schwächte sich ab.
    Selbstheilung durch Zuversicht
    Ganz gleich, ob kranke Menschen Arzneimittel nehmen, sich operieren lassen oder einfach mit einer Therapeutin oder einem Therapeuten reden – jede medizinische Hilfe und jede psychologische Zuwendung ist angetan, die Selbstheilungskräfte des Körpers freizusetzen. Die Vorstellungskraft des Menschen kann dem Forscher Benedetti zufolge im Körper »Mechanismen in Gang bringen, die jenen ähneln, die von Arzneimitteln aktiviert werden«. Der Glaube, wieder gesund zu werden, verändert die Steuerung bestimmter Gene und erhöht die Herstellung heilsamer Proteine.
    Das »Placebo-Effekt« (lateinisch für: Ich werde gefallen) genannte Phänomen scheint das mächtigste Wirkprinzip der Heilkunde überhaupt zu sein. Unglaublich erscheinen die Geschichten aus dem Zweiten Weltkrieg: Weil das Morphin ausgegangen war, verabreichten Chirurgen vielen verwundeten Soldaten heimlich Salzlösungen – und linderten damit nachweislich die Schmerzen der Versehrten.
    Eindrucksvoll demonstriert die Heilkraft der Hoffnung auch ein Experiment, bei dem an 6000 psychisch kranke Patienten Pillen ausgegeben wurden, die keinen Wirkstoff enthielten. Dazu erhielten die Patienten folgende Information: Die Einnahme der Pillen helfe den Ärzten, den Nutzen einer nachfolgenden Therapie zu erkennen. Die Patienten wussten also: Eigentlich durften sie noch gar keine Wirkung erwarten. Und doch war die Hoffnung bei vielen schon geweckt. Nach der Einnahme der Pillen fühlte sich die Hälfte der Patienten bereits gesünder.
    In einer anderen Studie haben Ärzte schwangeren Frauen weisgemacht, sie erhielten ein Mittel, das ihre Übelkeit unterdrücken sollte. Die Wirkung war fabelhaft: Die meisten Frauen fühlten sich deutlich besser; ihr Magen beruhigte sich. Was die Frauen nicht wussten: In Wahrheit hatten sie Brechmittel erhalten. Der durch ihre Erwartungshaltung ausgelöste Placebo-Effekt jedoch hatte die pharmakologische Wirkung in ihr Gegenteil verkehrt!
    Der Placebo-Effekt wird salonfähig
    Der Einfluss des Placebo-Effekts in der gesamten Medizin ist erstaunlich groß, auch wenn genaue Zahlen nur schwer zu ermitteln sind. Aber bei den meisten Erkrankungen, schätzt der amerikanische Kardiologe Brian Olshansky, trägt Placebo zu 30 bis 40  Prozent zum Nutzen der medizinischen Maßnahmen bei. Dennoch genießt der schöne Schein unter den Ärzten keinen guten Ruf. Denn Vergleichsstudien entlarven ein ums andere Mal: Viele ausgeklügelte Heilversuche sind in Wahrheit nichts anderes als Träger eines Placebo-Effekts. Und wer lässt sich schon gern sagen, die eigenen Erfolge beruhten nur auf der Einbildung der Patienten?
    Bis vor kurzem noch hätten viele Ärzte das Placebo-Phänomen

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