Gene sind kein Schicksal
schnitten in dem Rechentest deutlich schlechter ab. Überdies war ihr Blutdruck erhöht, und sie zeigten Anzeichen von nervösem Schweiß. Das bedeutet: Unterschwellige Verunglimpfung schlägt durch bis auf unsere Zellen und verändert die Art und Weise, wie der Körper arbeitet.
Es macht also einen gewaltigen Unterschied, ob ein Arzt seinen Patienten mit einem dummen Spruch kommt oder ihn aufmuntert. Der Kardiologe Brian Olshansky sagt: »Obwohl er nur eine indirekte Intervention ist, kann der ärztliche Rat einen mächtigen Placebo-Effekt auslösen – unglücklicherweise aber auch einen Nocebo-Effekt.«
Der Schein der Chirurgie
Wenn Mediziner diesen Zusammenhang geringschätzen, dann verkennen sie pikanterweise die Anfänge ihres Gewerbes. Denn die meisten Methoden in der Geschichte der Heilkunst gründeten auf nichts anderem als auf der Kraft der Suggestion. Die sogenannte Dreckapotheke etwa hat die Medizin viele Jahrhunderte lang geprägt: Spinnennetze, Asseln, selbst Vipern wurden den Menschen als Heilmittel verkauft. Im alten Rom wurden der Verzehr von Hundekot und das Sich-Laben an den Brüsten milchgebender Sklavinnen angeraten, um die Gefahr des Herztodes zu bannen. Gegen die Malaria, das wussten einst spanische Ärzte, möge man sich einen Weinbrand genehmigen, versetzt mit einer Prise Pfeffer und drei Tropfen Blut aus dem Ohr einer Katze. So lange ist es nicht her, dass die Doktoren ihre Patienten vorzugsweise mit Blutegeln und Lanzetten zur Ader ließen – und viele dabei zu Tode kamen.
Warum rebellierten die Menschen nicht gegen all diese unsinnigen und gefährlichen Rosskuren? »Trotz des umfassenden Einsatzes dieser schädlichen Methoden und vieler anderer absonderlicher Stoffe wurden Ärzte geachtet und verehrt«, schrieb das Forscherehepaar Elaine und Arthur Shapiro von der Abteilung für Psychiatrie der Mount Sinai School of Medicine in New York, »weil sie selbst das therapeutische Agens für den Placebo-Effekt waren.« [80]
Trotz – oder gerade wegen – dieser Zusammenhänge haben Ärzte den Placebo-Effekt verhöhnt, seit er erstmals in der medizinischen Literatur aufgetaucht ist. »Placebo: ein Beiwort für jegliche Medizin, die man mehr einsetzt, um dem Patienten gefällig zu sein, als ihm zu nutzen«, hieß es 1811 im Hooper’s Medical Dictionary – ein ganz schön hochmütiges Urteil aus einer Zeit, in der die Medizin kaum über pharmakologisch wirksame Mittel verfügte, dafür aber reichlich toxische Stoffe im Arsenal hatte!
Nicht nur Pillendreher, auch frühe Chirurgen vermeldeten immer wieder Erfolge, die in Wahrheit auf der Macht der Einbildung fußten. Fallsüchtigen Patienten etwa entfernten sie Teile des Dickdarms – in der Annahme, dieser sei vom Bacillus epilepticus besiedelt, einem imaginären Erreger der Epilepsie.
In den fünfziger Jahren sägten Ärzte Menschen, die unter Angina pectoris litten, den Brustkorb auf und banden eine bestimmte Schlagader mit einem Faden ab. Durch diese sogenannte Ligatur entstehe ein Rückstau, versicherten die Ärzte: Vermehrt fließe so Blut ins kränkelnde Herz. Reihenweise berichteten Patienten über eine spürbare Abnahme ihrer Beschwerden. Die Ligatur wurde zum Standard der Herzmedizin.
Dann machten Forscher der University of Kansas die Probe aufs Exempel: Sie versetzten Herzpatienten in Narkose. Der Hälfte von ihnen ritzten sie mit dem Skalpell leicht über die Brust, den anderen banden sie die Arterie fachgerecht ab. Ärzte, die nicht wussten, wer wie behandelt worden war, bewerteten anschließend das Befinden der Testpersonen. Und siehe da: Die Scheinoperation erwies sich als genauso wirksam wie die Ligatur; deren Erfolg beruhte also allein auf einem Placebo-Effekt. Daraufhin verschwand die Methode aus der Herzmedizin. [81]
Eine Untersuchung an 346 Menschen mit Rückenschmerzen legt nahe, dass es sich mit Eingriffen an der Bandscheibe ganz ähnlich verhält. Diese Patienten waren operiert worden, obwohl ihre Bandscheiben gar nicht vorgefallen und mithin keineswegs die Ursache der Pein waren – gleichwohl gaben 43 Prozent der Behandelten an, die Operation habe ihre Schmerzen gelindert. Auch eine der häufigsten medizinischen Prozeduren überhaupt – ein arthroskopisches Operationsverfahren – scheint auf einem Placebo-Effekt zu beruhen. Häufig wenden Mediziner diese Methode an, wenn das Kniegelenk verschlissen, der Knorpel beschädigt und abgebaut ist. Ärzte spülen dann an die zehn Liter Flüssigkeit durch
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