Gene sind kein Schicksal
im Volk den Glauben verfestigt, Knaben wären von Natur aus besser in Mathe, Chemie und Physik – während die Mädchen »sprachbegabt« wären.
Doch in Wahrheit werden solche Unterschiede von der Kultur gleichsam eingeimpft. Lehrerinnen, die selbst Angst vor Mathe haben, geben dieses Unbehagen gegenüber Zahlen an ihre Schülerinnen weiter. Das haben Untersuchungen an US -Grundschulen gezeigt. Jene Mädchen, die das Klischee von ihrer Lehrerin übernahmen, rutschten daraufhin mit ihren Mathenoten ab und wurden schlechter als diejenigen Klassenkameradinnen, die nicht an das Klischee glaubten. Man mag es kaum glauben, aber die Auslöser der schlechten Noten waren die Lehrerinnen selbst: Sie setzten eine Prophezeiung in ihre Klasse, die sich zumindest für ihre leichtgläubigen Schülerinnen erfüllte.
Klischees zu angeborenen Fähigkeiten beeinflussen die Schülerleistung ganzer Länder. Das kam heraus, als Psychologen knapp 300 000 Menschen in 34 Ländern befragten, ob sie glaubten, Männer hätten mehr Talent für Mathe und Naturwissenschaften. Auf diese Weise konnten die Forscher ermitteln, wie stark das Klischee in einem jeweiligen Land verbreitet ist. Die Werte verglichen sie damit, wie die Mädchen und Jungen aus diesen 34 Ländern beim Leistungstest Timss in 2003 für die 8 . Klasse abgeschnitten hatten. Das Ergebnis: Mädchen, in deren Heimatländern das Klischee von der weiblichen Minderbegabung besonders ausgeprägt war, blieben tatsächlich besonders weit hinter den Jungen aus ihrem Land zurück.
Wenn man weiß, wie stark das Klischee in einer gegebenen Gesellschaft verbreitet ist, dann kann man also umgekehrt vorhersagen, wie die Mädchen im Vergleich zu den Jungen abschneiden. Und daraus folgt: Wenn es gelingt, das Klischee zu überwinden, dann werden die Leistungsunterschiede zwischen den Geschlechtern verschwinden. Eine umfassende Studie aus den USA zeugt von einem erfreulichen Trend. Die Forscher haben die Mathearbeiten von mehr als sieben Millionen Schülerinnen und Schülern ausgewertet: Unterschiede zwischen den Geschlechtern waren nicht zu entdecken. [108]
Übung macht den Meister
Wie schlau die Kinder werden, bestimmen Eltern also weniger durch die genetische Mitgift als durch die Erziehung. Lesen, Schreiben, Reden, Rechnen und Bewegung – je stärker das Gehirn des Kindes stimuliert wird, desto besser kann es sein biologisches Potential ausschöpfen. Neben diesen naheliegenden Tipps – zu denen natürlich noch die Frage nach der richtigen Schule zählt – sollten Eltern ihren Kindern vermitteln, was in diesem Kapitel steht:
Die menschliche Intelligenz ist formbar. Wie schlau Hans später einmal sein wird, darüber entscheidet Hänschen ganz maßgeblich mit.
Loben ist enorm wichtig. Allerdings sollte man Kinder nicht für ihre Schlauheit loben. Die Kleinen wollen nämlich wieder gelobt werden und konzentrieren sich auf Dinge, die sie bereits beherrschen und in denen sie glänzen können. Schwierige, neue Aufgaben dagegen vermeiden sie. Beobachtet haben das die amerikanischen Psychologinnen Claudia Mueller und Carol Dweck, die Schülerinnen und Schüler aus der 5 . Klasse untersucht haben. [109] In einem Experiment absolvierten die Kinder einen Test zur Kognition und wurden dafür ausdrücklich gelobt, allerdings mit einem feinen Unterschied: Die einen Kinder wurden für ihre Intelligenz gelobt, die anderen für ihre Anstrengung. Dann gaben die Forscher den Kindern neue Aufgaben zur Auswahl und sagten dazu: Die einen seien eher schwierig, die anderen eher leicht.
Von den Kindern, die zuvor für ihre Intelligenz gelobt worden waren, entschieden sich 66 Prozent für die leichten Aufgaben – sie wollten auf jeden Fall weiterhin als schlau gelten. Von den Kindern, die vorher ein Lob für ihre Arbeitsmoral eingeheimst hatten, wählten mehr als 90 Prozent die schwierigen Aufgaben – sie wollten weiterhin als lernwillig gelten.
Doch bevor sich die Kinder an diese nächsten Aufgaben machen konnten, schoben ihnen die Psychologinnen noch schnell ein paar andere Übungen zu. Diese waren aber viel schwerer als der Test zur Kognition zu Beginn, und die Kinder konnten nicht an die guten Leistungen anknüpfen. Nun fragten die Forscherinnen sie nach dem Grund für das schlechtere Abschneiden. Jene Schüler, die wegen ihrer Intelligenz gelobt worden waren, sagten eher, sie seien dazu nicht schlau genug. Zudem verloren sie die Lust, an den Tests teilzunehmen.
Die für die
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