Gene sind kein Schicksal
vermelden. Hinter den vielen Funden stehen statistische Berechnungen und biologische Zusammenhänge, die auf den ersten Blick durchaus einleuchten. Ein Beispiel dafür sind vermeintliche Risikogene, die im gesunden Zustand für die Reparatur unserer Erbanlagen wichtig sind. Wenn nun diese Reparatur-Gene durch eine Mutation ausfallen, dann können sie diese Aufgabe nicht mehr erfüllen: In der Zelle häufen sich die Schäden am Erbgut. Die Zelle kann dadurch die Kontrolle über ihr Wachstum verlieren und zu einer bösartigen Geschwulst wuchern. Mehr als 200 Studien haben Forscher mittlerweile veröffentlicht, in denen mutierte Reparaturgene als Krebsauslöser dargestellt werden.
Diese Datenlage scheint eindeutig, aber einige Wissenschaftler waren dennoch skeptisch. Zu ihnen gehören der bereits erwähnte Epidemiologe John Ioannidis sowie Gesundheitsforscher aus Australien, England und Italien. Gemeinsam haben sie die betreffende Literatur gelesen und bewertet: [115] Von 241 Studien entpuppte sich der größte Teil schnell als Zahlenmüll. Immerhin 31 Arbeiten schienen wissenschaftlichen Ansprüchen zu genügen; diese Arbeiten bezogen sich auf 16 verschiedene Gene. Die betreffenden Studien unterzogen die Gesundheitsforscher einer Analyse und rechneten nach: Die meisten der behaupteten Zusammenhänge lösten sich in Luft auf, teilten die Mediziner im angesehenen
Journal of the National Cancer Institute
mit. Am Ende blieben gerade zwei genetische Varianten als »statistisch signifikant« übrig, was allerdings noch nichts darüber aussagt, ob sie eine klinische Bedeutung haben. Die Sache mit genetischer Variation und der Verbindung zu Erkrankungen wie Krebs möge ja durchaus spannend sein, sagt Ioannidis. Und dann fügt er hinzu: »Aber die Allgemeinheit sollte sich vor dem Rückschluss hüten, man wäre dem Untergang geweiht, weil man eine Änderung in dem einen oder anderen Gen hat.«
Steuergelder in Millionenhöhe haben die Bürger in Deutschland und in anderen Industrienationen Forschern in den vergangenen Jahren zur Verfügung gestellt, damit diese herausfinden, welche Abschnitte im Erbgut verwundbar machen für Krebs. Die Wissenschaftler sind gut vorangekommen und haben einen gewaltigen Datenberg zusammengetragen – allerdings zeigt die Auswertung dieser Zahlen: Die Genjäger spürten offenbar Phantomen nach. Von den Sonderfällen wie den Genen
brca 1
und
brca 2
abgesehen, haben die Forscher nämlich keine Krebsgene entdeckt. Die viel beschworene genetische Anfälligkeit für Krebs gibt es so nicht. Das Ergebnis ist vielen Forschern eher peinlich; einige jedoch sprechen es in Fachaufsätzen offen an. Die Biomathematiker Stuart Baker vom US -amerikanischen National Cancer Institute in Bethesda (Maryland) und Jaakko Kaprio von der Universität Helsinki etwa haben über die verzweifelte Suche nach Krebsgenen ein klares Urteil gefällt: »Die neuere Forschung legt nahe, dass diese Gene wahrscheinlich gar nicht existieren oder, wenn sie es denn doch tun, dass sie wahrscheinlich keinen nennenswerten Einfluss auf die Häufigkeit von Krebs haben.« [116]
Aufschlussreich sind auch Untersuchungen an Tausenden von Zwillingspaaren in Finnland, Schweden und Dänemark. Forscher haben die Krebsraten von eineiigen und zweieiigen Zwillingen statistisch ausgewertet und geschaut, inwiefern die Erkrankungen vererbt werden. Wird der eine Zwilling krank, wenn der andere schon an einer Krebserkrankung leidet? Im Falle einer unausweichlichen Erblast ergäbe sich ein Anteil der Genetik von 100 Prozent. Doch davon kann keine Rede sein: Für Prostatakrebs lag der Wert noch am höchsten, bei 42 Prozent; für Brustkrebs bei 27 Prozent. Im renommierten
New England Journal of Medicine
sehen die betreffenden Zwillingsforscher angesichts dieser Zahlen keinen Grund für biologischen Fatalismus. Ganz im Gegenteil, sie schreiben: »Geerbte genetische Faktoren tragen nur geringfügig zur Anfälligkeit für die meisten Tumorarten bei. Die Ergebnisse zeigen, dass die Umwelt die Hauptrolle spielt«. [117]
Der Wohnort als Krebsauslöser
Gegen eine biologisch vorgezeichnete Verwundbarkeit für Krebs sprechen auch Studien unter Einwanderern. Beispiel Brustkrebs: Die Erkrankungsrate lag in den Vereinigten Staaten von Amerika historisch gesehen vier- bis siebenmal höher als in China und in Japan. Doch wenn Frauen aus diesen Ländern oder von den Philippinen in die USA einwandern, dann verliert sich dieser Schutz. [118] Die Rate an Brustkrebs
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