Gene sind kein Schicksal
Arbeitsmoral gelobten Kinder dagegen meinten, sie hätten sich nicht genug angestrengt, und sie blieben motiviert. Schließlich gaben Claudia Mueller und Carol Dweck ihren Schützlingen abermals Aufgaben. Die anfangs für ihren Arbeitseinsatz gelobten Kinder lösten deutlich mehr dieser Aufgaben als ihre Klassenkameraden, die man für ihre Intelligenz gepriesen hatte.
III Der Körper
Kapitel 10 Krebs und der unterschätzte Einfluss der Umwelt
Die Lehrerin Evelyn Heeg war 30 Jahre alt, als sie sich das gesunde Brustgewebe entfernen ließ – weil sie Angst hatte, an Brustkrebs zu erkranken. An dem Leiden waren ihre Mutter und drei Tanten gestorben. Die junge Frau aus Baden-Württemberg hat deshalb untersuchen lassen, ob ihr Risiko erhöht war. In ihrem Erbgut, das fanden Genetiker der Universität Köln heraus, trug sie eine auffällige Variante, eine mutierte Form des sogenannten
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-Gens.
Mehr und mehr Frauen entschließen sich zur prophylaktischen Mastektomie. Evelyn Heeg hat in ihrem Buch eindrucksvoll beschrieben, was dieser radikale Schnitt für betroffene Frauen bedeutet. [110] Sie schildert aber auch die Möglichkeiten der plastischen Chirurgie: Ihre Brüste wurden in der ursprünglichen Form rekonstruiert.
Die steigende Zahl dieser vorsorglichen Eingriffe, bei denen gesundes Gewebe entfernt wird, verfestigt in der Öffentlichkeit den Eindruck, Brustkrebs sei eine biologisch vorbestimmte Erkrankung. Jedoch sind die einschlägigen Brustkrebs-Gene – neben
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gibt es noch
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– recht selten und nur an fünf bis zehn Prozent aller Fälle von Brustkrebs beteiligt. Gleichwohl sehen viele Frauen Brustkrebs als Erblast an. Die kanadische Gesundheitsforscherin Kelly Metcalfe hat Frauen, die sich für eine Mastektomie entschieden hatten, befragt und war erstaunt: [111] Viele der operierten Frauen trugen gar keine mutierten
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-Gene und hatten ihr subjektives Risiko viel höher eingeschätzt, als es nach ärztlichem Ermessen und wissenschaftlichem Stand war.
An der Abteilung Molekulargenetische Epidemiologie des Krebsforschungszentrums Heidelberg verfügen die Mitarbeiter über die weltweit größte Datenbank zur Vererbung von Krebserkrankungen – und auch sie sahen sich bemüßigt, die Öffentlichkeit zu beruhigen: Die Menschen würden das familiäre Krebsrisiko oftmals überschätzen. [112]
Die Furcht vor einer genetischen Vorbelastung kommt nicht von ungefähr. Nach der Entdeckung von
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und
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hatten die Forscher rundheraus verkündet, Frauen mit einer mutierten Genvariante hätten im Allgemeinen eine Wahrscheinlichkeit von bis zu 85 Prozent, irgendwann bis zum siebzigsten Lebensjahr an Brustkrebs zu erkranken. [113] Von der Öffentlichkeit kaum bemerkt, haben Wissenschaftler diesen hohen Wert jedoch nach unten korrigieren müssen: Demnach liegt das entsprechende Risiko für Frauen mit dem
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-Gen bei 65 Prozent und das für Frauen mit dem
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-Gen bei nur noch 45 Prozent. [114] Des Weiteren sind diese Zahlen nur eingeschränkt bindend und mit einer großen Ungenauigkeit behaftet. Sie schwanken von Familie zu Familie, wie der Epidemiologe Colin Begg vom angesehenen Memorial Sloan-Kettering Cancer Center in New York herausgefunden hat.
Einerseits hat Begg Frauen untersucht, die ein mutiertes
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-Gen tragen und Mütter oder Schwestern haben, die an Brustkrebs erkrankt sind: Diese Gruppe von Frauen – in die auch Evelyn Heeg gehört – haben ein Risiko, das tatsächlich über 80 Prozent liegen kann. Auf der anderen Seite aber zeigte sich: Es gibt viele Frauen, die zwar ein
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-Gen tragen, aber keinen Brustkrebsfall in der Familie haben. Diese Frauen haben der Studie zufolge sogar ein niedrigeres Risiko als jene 40 Prozent, die bisher als Untergrenze galten. Und umgekehrt entstehen die meisten Fälle von Brustkrebs, obwohl die jeweils betroffenen Frauen gar keine Risikogene tragen. Die Bedeutung der
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-Gene haben die Forscher in vielen Fällen also überschätzt und in ihren Berechnungen andere Faktoren nicht ausreichend beachtet: Rauchen, Bewegungsmangel, falsche Ernährung, Hormone und andere Einwirkungen aus der Umwelt haben einen größeren Einfluss auf Brustkrebs als die Gene.
Jagd nach Phantomen
Diese Erkenntnis steht im Widerspruch zum populär gewordenen Verständnis, Krebs sei zuvorderst eine genetische Erkrankung, zumal da kaum eine Woche vergeht, in der Hochschulen und Forschungseinrichtungen nicht die Entdeckung eines »neuen Krebsgens«
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