Gene sind kein Schicksal
unter ihnen und unter ihren Töchtern und Enkeltöchtern steigt auf das Niveau der Amerikanerinnen europäischer Abkunft. Asiatische Amerikanerinnen (Asian Americans), die in den Vereinigten Staaten auf die Welt gekommen sind, tragen ein 60 Prozent höheres Risiko für Brustkrebs als asiatische Amerikanerinnen, die noch in Asien geboren wurden. Frauen, die bereits ein Jahrzehnt oder länger in den Vereinigten Staaten leben, haben wiederum eine 80 Prozent höhere Wahrscheinlichkeit für Brustkrebs als Frauen, die erst kürzlich aus Asien eingewandert sind.
Beispiel Prostatakrebs: In Asien lebende Männer erkranken zehnmal seltener daran als Amerikaner mit europäischen Vorfahren. Doch einmal in die USA eingewandert, verschwindet dieser Schutz innerhalb nur einer Generation. Das spricht gegen eine genetische Veranlagung, weil sich die Erbanlagen in einer derart kurzen Zeit gar nicht ändern können.
Die steigenden Krebsraten gehen auf den Wohnort und den damit verbundenen Lebensstil zurück. In den USA ist letzterer viel stärker als andernorts geprägt von übermäßiger Kalorienzufuhr und mangelnder körperlicher Bewegung. Nicht vor Krebsgenen sollten wir uns fürchten – eher vor Gesellschaften, deren Lebensstil Krebs förderlich ist.
Krebs als Folge von Wohlstand
Auf kaum eine Lebensweise könnte der Begriff Krebsgesellschaft besser zutreffen als auf jene in den industrialisierten Gesellschaften des Westens. Wir haben uns hier eine Welt geschaffen, in die wir aus Sicht der Evolutionsmedizin denkbar schlecht hineinpassen. Diese Unstimmigkeit spüren wir an unseren Rückenschmerzen, Depressionen und Allergien; besonders deutlich schlägt sie sich auch in den Krebsstatistiken nieder. Gerade was Tumorerkrankungen angeht, hat sich der Mensch offenbar einen Tick zu weit entwickelt. Forscher haben Tausende von Affen obduziert – und nur in ein bis zwei Prozent der Fälle Krebsgeschwülste entdeckt. Homo sapiens dagegen ist für Krebs anfällig wie keine zweite biologische Art. Bei jedem dritten heute lebenden Menschen werden Ärzte eines Tages einen Tumor diagnostizieren.
Die Wohlstandsmenschen sind besonders gefährdet: Nur 19 Prozent der Weltbevölkerung leben in einem entwickelten Land, aber 46 Prozent aller neuen Krebserkrankungen brechen hier aus. Etwa jede zehnte Frau erkrankt im Laufe ihres Lebens an Brustkrebs. Auch das geht auf die moderne Umwelt zurück: Im Unterschied zu fast allen Tierarten hängt der Zyklus der Menschenfrau von äußeren Umständen ab. Leidet sie – wie in der Steinzeit – an Hunger oder ist sie körperlich stark verausgabt, produziert sie weniger Geschlechtshormone. Der Eisprung findet nicht statt. Leistungssportlerinnen kennen das: Ihre Blutung bleibt schon mal aus. In der prähistorischen Zeit hat dieser Mechanismus verhindert, Kinder in Notzeiten in die Welt zu setzen. Und wenn sich ausreichend Nahrung fand, waren Frauen in der Steinzeit vermutlich die meiste Zeit schwanger oder sie haben gestillt. Aus all diesen Gründen produzierten sie deutlich weniger Östrogene als heute lebende Frauen und hatten insgesamt vermutlich auch nur 160 Regelblutungen – was gut für ihr Risiko war. Fälle von Brustkrebs dürften damals kaum vorgekommen sein.
Ganz anders im Überfluss der Industriegesellschaft: Es mangelt an nichts, das weibliche Fortpflanzungsprogramm läuft auf vollen Touren. Die Frauen kommen früher in die Pubertät, sind aber seltener schwanger, stillen früh ab – und können zeitlebens auf 450 Regelblutungen kommen. Deshalb zirkulieren bis zur Menopause im Körper fast ständig Östrogene – und die erhöhen das Krebsrisiko.
Einer, der das kritisch betrachtet, ist Mel Greaves vom Institute for Cancer Research in London. Der Krebsexperte beschäftigt sich mit dem Einfluss der heutigen Lebensweise auf Tumorerkrankungen. Seine Vermutung lautet: Aufgrund von Wohlstand, Emanzipation und Verhütung hätten Frauen »eine reproduktive Lebensweise angenommen, an die sie aus historischer und genetischer Sicht schlecht angepasst sind«. [119] Das habe sich erstmals vor 300 Jahren unter enthaltsamen und wohlgenährten Nonnen in Italien gezeigt. Der Arzt Bernadino Ramazzini wunderte sich damals, dass kaum ein Kloster zu finden ist, in dem kein Krebs vorkommt.
Doch Frauen nun als Krebsvorsorge das Kinderkriegen zu verordnen, das fordert ernsthaft kein Mediziner. Umgekehrt aber erscheint es umso unverantwortlicher, dass manche Frauenärzte die Belastung durch
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