Gene sind kein Schicksal
der Umwelt wirken über epigenetische Mechanismen auf den Zellkern und verändern die Steuerung der Gene. Das schält sich auch bei Tumoren heraus, die durch Infektionen mit Viren und Mikroorganismen entstehen. Bestimmte Typen von humanen Papillomviren etwa verursachen Gebärmutterhalskrebs. Die Winzlinge nisten sich in den Zellen der Schleimhaut ein und schalten in den Zellkernen bestimmte Gene aus – was zur Folge hat, dass die Zellen der Schleimhaut die Kontrolle über ihr Wachstum verlieren. Dazu setzen humane Papillomviren vom Typ 16 epigenetische Signale ein, haben Forscher des Deutschen Krebsforschungszentrums Heidelberg herausgefunden: [122] Auf diese Weise wird das Gen für Interferon-kappa ausgeschaltet, einen zentralen Botenstoff des Immunsystems. Weil dieser Botenstoff nun fehlt, kann die Körperabwehr die eindringenden Viren sowie von ihnen bereits infizierte Schleimhautzellen nicht mehr erfolgreich beseitigen.
Das Bakterium Helicobacter pylori ist ein weiteres Beispiel. Der säurefeste Keim lebt im Magen des Menschen und löst in einigen seiner Wirte Magenkrebs aus. Forscher haben die Magenschleimhaut von infizierten Menschen untersucht und Folgendes gefunden: War das Erbgut der Schleimhautzellen besonders stark methyliert, dann war die Wahrscheinlichkeit für Magenkrebs auffällig erhöht. Es ist, als ob die Methylierung dem Tumorleiden den Boden bereitet. Wenn man die Magenkeime mit Arzneimitteln bekämpft, nimmt das Ausmaß der Methylierung merklich ab. Allerdings bleibt es höher als bei Vergleichspersonen, die sich noch niemals mit Helicobacter angesteckt hatten. Alles in allem sind Viren und andere Erreger an schätzungsweise zwanzig Prozent sämtlicher Krebserkrankungen beteiligt. Offensichtlich bilden epigenetische Mechanismen die Brücke zwischen Infektion und Tumor.
Über diese Brücke wirken auch Umweltgifte auf die Zellen unseres Körpers: Das chemische Element Cadmium etwa behindert die Aktivität der Methyltransferase, also von jenem Enzym, das Methylgruppen auf das Erbmaterial übertragen können. Arsen hat in Experimenten an Mäusen zu einer auffällig verringerten Methylierung geführt. Zu diesen epigenetischen Karzinogenen gehört auch der wohl bedeutendste Krebsauslöser: der Qualm von Zigaretten. Japanische Forscher haben Proben aus Tumoren der Speiseröhre untersucht und bei fünf untersuchten Genen folgenden Zusammenhang festgestellt: Je länger ein Patient in seinem Leben geraucht hatte, desto stärker war die Methylierung der Gene verändert. [123] Der Konsum von Bier, Wein und Schnaps und das allgemeine Ernährungsverhalten haben offenbar ebenfalls Auswirkungen auf die Methylierung. Alkohol scheint ein für die Methylierung zuständiges Enzym zu hemmen.
Und Menschen, die große Mengen der essentiellen Aminosäure Methionin mit der Nahrung aufnehmen – sie ist u.a. in Paranüssen, Sesam, rohem Lachs und Eiern enthalten –, erkranken offenbar seltener an Dickdarmkrebs. [124] Methionin erhöht das Ausmaß der Methylierung, was bei dieser Erkrankung von Vorteil ist. Unter Menschen mit kolorektalen Tumoren haben Forscher eine verringerte Methylierung festgestellt. Das alles passt zu den Ergebnissen von Studien an Nagetieren: Wenn es in deren Futter an der Aminosäure Methionin mangelt, dann erkranken die Tiere an Lebertumoren.
Schließlich hinterlässt auch das Alter unverkennbar seine Spuren. Je mehr Lebensjahre ein Mensch absolviert hat, desto höher liegt seine Wahrscheinlichkeit, an Krebs zu erkranken. Einerseits sammeln sich mit der Zeit die Mutationen im Erbgut an, andererseits nagt der Zahn der Zeit auch an den epigenetischen Mustern. Wenn eine Zelle entartet und zu einem Tumor wird, dann scheinen beide Sorten von Mutationen zusammenzukommen, sagen Jean-Pierre Issa und Hagop Kantarjian vom University of Texas M. D. Anderson Cancer Center in Houston. Nach allem, was man wisse, trügen »alle bösartigen Tumoren eine Melange aus genetischen und epigenetischen Schäden, und es wurden keine vollkommen genetischen oder vollkommen epigenetischen Geschwülste gefunden«. [125]
Saat des Bösen
Der griechische Held Herakles mühte sich redlich. Die Hydra war aber nicht zu besiegen. Schlug er dem neunköpfigen Ungeheuer ein Haupt ab, so wuchsen sogleich zwei neue nach. Krebskranke Menschen und deren Ärzte haben es häufig mit einem ähnlichen Feind zu tun. Mit Strahlen und Arzneimitteln können sie einen Tumor zwar bekämpfen, so dass er schrumpft und sogar gänzlich zu
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