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Gene sind kein Schicksal

Gene sind kein Schicksal

Titel: Gene sind kein Schicksal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Blech
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Hormone noch künstlich erhöhen. Die von ihnen propagierte Hormonersatztherapie lässt das Brustkrebsrisiko deutlich steigen, wie Studien an Tausenden von Frauen offenbart haben. Gleichwohl empfehlen Gynäkologen nach wie vor die Einnahme von Östrogen-Präparaten.
    Ähnlich wie die weibliche Brust, so leidet auch die männliche Vorsteherdrüse am Überfluss der westlichen Welt. Das Organ wird von Testosteron geflutet, damit es allzeit Sekret vorhält, das sich mit den Spermien vermischt. Von Rüden einmal abgesehen, hat kein Säugetiermännchen auf Erden eine ähnlich große Vorsteherdrüse – und keines erkrankt so häufig an Prostatakrebs. Neben dem Testosteron könnte auch Sex in späten Jahren das Risiko erhöhen, spekuliert der Londoner Mel Greaves. Männer seien vermutlich auf »dauernde sexuelle Aktivität« gepolt – aber eigentlich nur bis zum in der Steinzeit üblichen Ende des Fortpflanzungsalters. Geschlechtsverkehr im Alter von mehr als 50  Jahren sei »biologisch gesehen ein exotisches Verhalten, wenn auch sehr verbreitet« in modernen Gesellschaften.
    Sollten ältere Männern aus reiner Vorsorge enthaltsam leben? So weit will Mel Greaves, ein 1941 geborener Großvater, dann nicht gehen. Aber seine Betrachtungen zum evolutionären Hintergrund von Krebserkrankungen schärfen den Blick auf bisher unterschätzte Ursachen. Die gerade in den Industriestaaten besonders stark steigenden Krebsraten hängen unmittelbar zusammen mit den Umwelteinflüssen der modernen Welt. Rund 90  Prozent der Krebserkrankungen in den Gesellschaften der industrialisierten Staaten gehen auf Umweltfaktoren zurück.
    Den Einfluss der Umwelt auf Krebserkrankungen haben die Mediziner lange Zeit mit Mutationen im Erbgut erklärt. Wenn Chemikalien aus dem Tabakrauch, energiereiche Strahlen und andere krebsauslösende Faktoren auf eine Zelle einwirken, dann kann das zu Mutationen im Zellkern führen: Der genetische Code wird an einer ungünstigen Stelle mutiert, also dauerhaft verändert. Dadurch verliert die betroffene Zelle die Kontrolle über ihr Wachstum. Sie vermehrt sich ungebremst, wobei die Mutation auf die Tochterzellen weitergegeben wird. Aus einer einzigen mutierten Zelle kann auf diese Weise eine bösartige Geschwulst heranwachsen.
    In der Regel kann der Tumor auf zwei Arten entstehen. Im ersten Fall wird durch die Mutationen ein Gen und damit ein Protein aktiviert, das ein unkontrolliertes Wachstum der Zelle bewirkt. Von diesen sogenannten Onkogenen haben Wissenschaftler inzwischen mehr als hundert Stück entdeckt. Die Bezeichnung Onkogene (»Krebsgene«) ist, wie so viele Begriffe in der Molekularbiologie, irreführend, weil die betreffenden Gene in ihrer unversehrten Form wichtige Aufgaben in der Zelle erfüllen.
    Zweitens kann es sein, dass durch die Mutationen ein Gen zerstört wird, das normalerweise das Wachstum der Zelle kontrolliert. Durch den Ausfall verliert die Zelle die Kontrolle über ihr Wachstum und beginnt damit, sich ungehemmt zu teilen. Das betreffende Gen gilt als Tumor-Suppressor-Gen, da es im unversehrten Zustand Vorgänge in der Zelle steuert, welche die Zellteilung unterdrücken. Von den Tumor-Suppressor-Genen haben Forscher mehr als 30  Stück aufgespürt.
    Tumor G 0288 lüftet das Geheimnis
    Die Entdeckung dieser Mutationen wie auch größerer krankhafter Veränderungen an den Chromosomen von Krebszellen hat entscheidend dazu beigetragen, dass Mediziner Tumorerkrankungen so lange als genetische Erkrankungen angesehen haben. Aber das ist nur ein Teil der Wahrheit. Denn in so gut wie jedem Tumor haben Forscher inzwischen eine weitere Art von Veränderungen entdeckt, eine, die über der DNA -Sequenz liegt: Veränderungen der epigenetischen Steuerung. In Abgrenzung zur klassischen Mutation (welche die DNA -Sequenz verändert) sprechen Mediziner von einer »Epi-Mutation«. Diese betrifft also nicht die Abfolge der DNA -Bausteine, sondern die Ebene darüber: die Steuerung der Gene.
    Dieser neue Blick auf Krebserkrankungen ist ein Produkt mühseliger Grundlagenforschung. In einem Experiment hatten Wissenschaftler genetisches Material aus 103  Tumoren des Menschen, unter ihnen gutartige Gewächse und mörderische Metastasen, entnommen und es mit der Hochleistungsflüssigkeitschromatographie ( HPLC ) untersucht. Im Vergleich zu gesundem Gewebe fand sich in den Krebsgeweben ein auffällig geringer Anteil von 5 -Methyl-Cytosin. Dieser Verlust an Methylierung war umso stärker ausgeprägt, je

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