Gene sind kein Schicksal
verschwinden scheint. Dann jedoch, nach Monaten oder Jahren und wie aus dem Nichts, wuchert eine neue Geschwulst heran: Die ähnelt der alten verblüffend – ist aber noch gefährlicher. Lange haben Wissenschaftler gerätselt, aus welchem Reservoir diese Tumoren nachwachsen. Mittlerweile glauben Onkologen, den Ursprung des Bösen erkannt zu haben: Im Körper eines krebskranken Menschen gibt es offenbar ein winzig kleines Reservoir von besonders wehrhaften Krebszellen. Nicht nur, dass diese Zellen den gängigen Therapieversuchen widerstehen. Wie aus einer Saat können aus ihnen eines Tages neue Tumoren und Tochtergeschwülste (Metastasen) hervorgehen. Diese Zellen werden Krebsstammzellen genannt, denn sie haben Eigenschaften, wie sie zuvor nur von Stammzellen bekannt waren: Sie sind praktisch unsterblich, tragen ganz bestimmte Proteine auf ihren Oberflächen und können zu unterschiedlichen Typen von Zellen heranreifen. So wie eine Herzstammzelle alle Zellen hervorbringen kann, aus denen ein Herz besteht, so kann eine Krebsstammzelle sämtliche Zellen entstehen lassen, die sich in einem Tumor finden.
Doch wie nur entstehen solche Krebsstammzellen?
Aufschlussreiche Experimente zu dieser Frage hat die Gruppe um Frank Rosenbauer vom Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in Berlin gemacht. [126] Zunächst ging es um Stammzellen im Blut. Aus ihnen bilden sich immer wieder sämtliche Arten von Blutzellen des Körpers. Unklar war jedoch, wie die Blutstammzellen dieses Potential erhalten und wie sie verhindern, dass sie in der Zellteilung selbst zu gewöhnlichen Blutzellen heranreifen. Offenbar gibt die Sprache der Epigenetik die entscheidenden Anweisungen, fanden die Forscher heraus: Nur wenn ein bestimmtes Enzym bei einer Zellteilung das Methylierungsmuster auf die Tochterzellen überträgt, bleibt das Potential zur Selbsterneuerung erhalten. Mäuse, in denen das dafür zuständige Enzym (mit der Abkürzung Dnmt 1 ) ausgeschaltet ist, leiden unter einer gestörten Funktion der Stammzellen und sind nicht lebensfähig.
Bei Krebsstammzellen im Blut sind offenbar ebenfalls epigenetische Anweisungen beteiligt. Das Dnmt 1 -Enzym ist in ihnen aktiv und verleiht den Zellen das Potential zum Wachstum. In dem Maße, in dem die Methylierung in diesen Zellen nach unten geregelt ist, können sich die Krebsstammzellen nur noch eingeschränkt erneuern.
Diese und andere nicht minder erstaunlichen Erkenntnisse führen zu einem neuen Verständnis, was in einer Zelle geschieht, wenn diese zu einer Krebszelle wird. Dem Mediziner Andrew Feinberg zufolge bilden epigenetische Mechanismen den Auftakt für viele Krebserkrankungen. [127] Im ersten Schritt verändern sie Zellen in einem Organ oder Gewebe. Auf diese Weise entstehen Krebs-Vorläuferzellen. Nun kann es zum zweiten Schritt kommen. Eine klassische Mutation auf einem Gen verwandelt die Krebs-Vorläuferzellen in eine Geschwulst. Drittens schließlich machen sowohl genetische als auch epigenetische Veränderungen die jungen Krebszellen noch gefährlicher: Nunmehr bilden sie ein Reservoir von Krebskeimlingen, die sich ungehemmt teilen.
Mit Königinnen gegen den Krebs
Der Molekularbiologe Frank Lyko hat einen ungewöhnlichen Posten in seinem Etat. Auf 400 -Euro-Basis hat er einen Imker eingestellt, der ihn mit Bienenlarven versorgt. Mit einem Löffelchen holt er die Larven aus dem Stock und bringt sie in Lykos Labor im Deutschen Krebsforschungszentrum Heidelberg. Bei einer Temperatur von 34 Grad Celsius und 80 Prozent Luftfeuchtigkeit werden sie dort liebevoll gesäubert und gefüttert. Zur Kost gehört Gelée royale, jener geheimnisvolle Cocktail, der über die Zukunft der Bienen entscheidet. Wer damit gepäppelt wird, kann zu einer stolzen Königin heranreifen. Bei den Heidelberger Molekularbiologen klappe das allerdings noch nicht recht, berichtet Lyko und seufzt: »Unsere Königinnen legen keine Eier im Labor.«
Im Bienenstock entfaltet das Gelée royale seine wundersame Macht, indem es das epigenetische Muster der Erbanlagen gezielt verändert. Aus genetisch identischen Klonen entstehen Wesen, die vollkommen unterschiedlich aussehen: hier die prächtige Königin, da die sterile Arbeiterin.
Mit ihren Bienen-Versuchen wollen Lyko und seine Kollegen herausfinden, welche chemischen Bestandteile aus dem Drüsensekret der Ammenbiene es eigentlich sind, welche die Verwandlung bewirken. Im nächsten Schritt würden sie eben diese Bestandteile dann gerne für einen anderen
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