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Gene sind kein Schicksal

Gene sind kein Schicksal

Titel: Gene sind kein Schicksal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Blech
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Zweck verwenden – als neuartiges Mittel gegen Krebs.
    Umprogrammieren statt töten
    Die tragende Rolle der Epigenetik bei Krebserkrankungen eröffnet Onkologen eine einzigartige Perspektive. Sie suchen nach Wirkstoffen, mit denen sie die epigenetischen Veränderungen in den Tumorzellen rückgängig machen können. In der klassischen Chemotherapie werden die Zellen getötet – in der epigenetischen Therapie dagegen sollen sie dereinst umprogrammiert werden.
    Tatsächlich gibt es solche Substanzen, Forscher in Kalifornien haben das vor einiger Zeit aus reinem Zufall entdeckt: [128] In Experimenten wollten sie herausfinden, was eigentlich passiert, wenn verschiedene Chemikalien auf embryonale Stammzellen der Maus einwirken. Irgendwann kam die Substanz Azacytidin, die ähnlich aufgebaut ist wie der DNA -Baustein Cytosin, an die Reihe. Nach ein paar Tagen deutete alles auf einen Fehlschlag hin: In der Kulturschale mit den Zellen entstand eine seltsame Masse, offenbar hatte ein Schimmelpilz die Probe verdorben.
    Die Forscher schauten ihn sich jedoch genauer an und entdeckten: Bei dem vermeintlichen Schimmel handelte es sich in Wahrheit um Muskelgewebe. Unwissentlich hatten die Forscher die epigenetische Steuerung der embryonalen Stammzellen verändert. Anstelle des üblichen DNA -Bausteins Cytosin bauten die Zellen das ähnlich strukturierte Azacytidin in ihre Erbanlagen ein. Der Austausch der Chemikalien machte einen großen Unterschied: Das Azacytidin hemmte bestimmte Enzyme, die fürs Methylieren zuständig sind, und veränderte so die Steuerung der Gene. Aus diesem Grund verwandelten sich die in der Kulturschale befindlichen Stammzellen, und zwar in Zellen von Muskelgewebe. Zumindest in Laborversuchen geschieht Ähnliches, wenn man das Azacytidin auf Tumorgewebe einwirken lässt: Krebszellen der Maus werden zu gewöhnlichen Körperzellen.
    Das Azacytidin ist inzwischen als Medikament zugelassen und wird bei Menschen eingesetzt, die am sogenannten Myelodysplastischen Syndrom leiden. Bei diesem Blutkrebs, aus dem sich nach etwa einem Jahr eine tödliche Leukämie entwickeln kann, scheint die Substanz noch am besten zu wirken und gilt inzwischen als Therapiestandard. Nicht zuletzt wegen des neuartigen Wirkprinzips hoffen Ärzte, die Substanz könnte Vorreiter für eine neue Klasse von Medikamenten werden. Mitarbeiter von Pharmafirmen suchen bereits nach Krebsmitteln, die auf die epigenetische Steuerung einwirken.
    Die bisherigen Ergebnisse mit Azacytidin jedoch erscheinen eher durchwachsen. Zwar zeigt die Substanz vereinzelt gute Wirkungen und kann das Leben in einigen Fällen um Monate verlängern; von Heilung kann jedoch keine Rede sein. [129] Wie so oft in der Onkologie liegt es an den vertrackten Details: In einem Tumorgewebe können einige Gene zu stark und andere zur gleichen Zeit zu schwach methyliert sein. Wie soll ein Medikament in das komplexe System gezielt eingreifen können? Ein Einsatz von Medikamenten, welche die Methylierung verringern, könnte sogar Onkogene anschalten und die Erkrankung schlimmer machen.
    Heilen mit Bewegung
    Eine Möglichkeit, die Gene auf eine natürliche und sanfte Art zu steuern, hat Melinda Irwin von der Yale School of Medicine entdeckt. Die Epidemiologin hat die Krankengeschichten von 933  Frauen analysiert, die an Brustkrebs erkrankt waren. [130] Wie war es den Frauen ergangen? Wie hatten sie ihr Leben gestaltet? Indem sie die Daten über einen Zeitraum von zehn Jahren auswertete, hat Melinda Irwin einen bemerkenswerten Zusammenhang entdeckt: Frauen, die nach der Diagnose mit körperlicher Aktivität begannen, lebten merklich länger als körperlich träge Patientinnen. Der gute Effekt stellte sich bereits ein, wenn die Frauen jede Woche einige Stunden flott spazieren gingen. Eine Studie von der Harvard Medical School kommt zum gleichen Ergebnis: Wenn Frauen nach der Diagnose Brustkrebs sich regelmäßig körperlich bewegen, dann werden sie mit einem verlängerten Leben belohnt.
    Menschen mit der Diagnose Darmkrebs können die Heilkraft der Bewegung ebenfalls für sich arbeiten lassen. Hier haben Ärzte des renommierten Dana-Farber Cancer Institute im amerikanischen Boston wegweisende Studien vorgelegt. In der einen ging es um 823  Männer, die im frühen oder leicht fortgeschrittenen Stadium an Dickdarmkrebs erkrankt waren. Sie ließen sich operieren und chemotherapeutisch behandeln und gaben den Ärzten sechs Monate nach der Behandlung Auskunft, ob und wie häufig sie

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