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Gene sind kein Schicksal

Gene sind kein Schicksal

Titel: Gene sind kein Schicksal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Blech
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Erhebungen der Weltgesundheitsorganisation ( WHO ) haben knapp 79  Prozent der Frauen starkes Übergewicht und mehr als 83  Prozent der Männer. [140] Der erste Fall von Typ- 2 -Diabetes mellitus wurde erst 1925 notiert, mittlerweile sind etwa 40 bis 45  Prozent der Einwohner betroffen.
    Diese ungewöhnlich hohe Erkrankungsrate der Nauruer erklären Medizinethnologen und Biologen gerne mit der »thrifty-gene-Hypothese«, die auf den Genetiker James V. Neel ( 1915 – 2000 ) zurückgeht. Neel zufolge haben bestimmte Menschen »thrifty genes«, die man auch als gierige Gene bezeichnen könnte: Die Träger dieser Gene könnten Nahrungsmittel besonders gründlich verwerten und besonders schnell in Form von Fettspeichern anlegen. In prähistorischen Zeiten waren gierige Gene demnach vorteilhaft fürs Überleben und die Fortpflanzung, weil die Versorgung mit Nahrung damals unsicher war. Zeiten des Überflusses wechselten sich ab mit Hungersnöten.
    Die gierigen Gene fänden sich besonders häufig unter den Mitgliedern indigener Völker, sagt Paul Zimmet vom International Diabetes Institute in Melbourne, weil deren Vorfahren bis vor wenigen Jahrzehnten noch wie Jäger und Sammler lebten. Zimmet hat unter anderem Melanesier, Mikronesier, Polynesier und Kreolen untersucht und gibt düstere Prophezeiungen von sich: Im heutigen Überfluss seien Ureinwohner zum Krankwerden verdammt. Es gebe auch ein wunderbares Tiermodell dafür, fährt er fort und erzählt die Geschichte von der Fetten Sandratte (Psammomys obesus): Die braunen Nagetiere sind perfekt an das Leben in den Wüsten Nordafrikas, Israels und Arabiens angepasst, wo sie sich von Salzmelde und anderen Salzpflanzen ernähren.
    Da die Sandratten gesellig und zutraulich sind, werden sie in Deutschland und andernorts als Haustiere gehalten. Allerdings bekommt der Sandratte das Leben in Saus und Braus gar nicht. »Wenn man sie in einem Labor hält und ihr westliches Rattenfutter verabreicht, dann wird sie fettleibig und bekommt Typ- 2 -Diabetes«, sagt Zimmet. [141] Das Schicksal der Sandratte sieht er als Gleichnis für die Ureinwohner auf Nauru und für die Mitglieder anderer Naturvölker – doch trifft es zu?
    Am Anfang merkt man nichts
    Der Typ- 2 -Diabetes mellitus beginnt schleichend, die Betroffenen fühlen sich häufig völlig gesund. Doch der Körper verliert allmählich die Fähigkeit, Zucker zeitgerecht zu verwerten. Eigentlich soll das von der Bauchspeicheldrüse (Pankreas) hergestellte Hormon Insulin den Zellen des Körpers signalisieren, Traubenzucker (Glukose) dem Blut zu entziehen. Doch reagieren die Zellen immer weniger auf dieses Signal und werden schließlich resistent gegen Insulin. Die Konzentration des Blutzuckers ist dauerhaft erhöht, was zu vielfältigen Schäden führt. Diabetiker mittleren Alters haben eine um fünf bis zehn Jahre verkürzte Lebenserwartung, wobei sie zumeist an den Spätfolgen des Leidens sterben. Der viele Zucker kann die Niere schädigen und das Organ zerstören. Fünfzig Prozent der Menschen, die auf die maschinelle Blutwäsche (Dialyse) angewiesen sind, leiden unter Typ- 2 -Diabetes mellitus. Jeder zweite dieser Dialysepatienten stirbt innerhalb von drei Jahren. Auch die Augen leiden unter dem Zucker: Allein in Deutschland erblinden jedes Jahr schätzungsweise 8000 Menschen, weil ihre Netzhaut zerstört wurde. Schrecklich sind auch die Auswirkungen auf die motorischen und sensiblen Nerven im Körper, an denen der viele Zucker gleichsam nagt. Jahr für Jahr müssen schätzungsweise 30   000  Menschen in Deutschland die Zehen, Füße, Unter- oder Oberschenkel amputiert werden.
    Krank durch Cola
    Hinter diesen Zahlen stehen Schicksale, die nicht nur für die Betroffenen selbst quälend sind. Auch ihre Angehörigen sind belastet, weil die Betreuung der behinderten Patienten aufwendig ist. Die Solidargemeinschaft der Krankenversicherten schließlich muss wegen der Diabetes-Epidemie immer höhere Lasten tragen.
    In einem fensterlosen Raum im Sana Krankenhaus Gerresheim in Düsseldorf treffe ich den pensionierten Autoverkäufer Hans-Ulrich Ebert. Er liegt auf einer Liege, neben sich einen Rollstuhl. Seine Frau hat ihn mit dem Auto gebracht und muss sich auch sonst die ganze Zeit kümmern.
    Ist der 70  Jahre alte Mann Opfer einer genetischen Erkrankung geworden?
    Ebert selbst bezweifelt das und erzählt, wie sein körperlicher Niedergang anfing. Er war vor drei Jahrzehnten im heißen Florida in Urlaub und fand das

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